Fauré, Gabriel
Requiem
Als Werk eines Ungläubigen, der den Glauben der anderen Menschen achtet bezeichnet Emile Vuillermoz in seiner Biografie über Gabriel Fauré dessen Requiem, eine Komposition, die sich auch hierzulande großer Beliebtheit erfreut, wenngleich sie ästhetisch in größtem Gegensatz steht zu den maßstabsetzenden Requiem-Werken Mozarts, Berlioz oder Verdis. Die Dies-irae-Sequenz spart Fauré gänzlich aus, und abgesehen von einem kurzen dramatischen Anflug im Libera me bewegt sich das ganze Werk in einer Zone der Ruhe, der Sanftheit und des Trostes. Faurés Requiem war ein Work in Progress: Für verschiedene Anlässe erstellte der Komponist unterschiedliche Fassungen, darunter auch jene siebensätzige inklusive
Sopran- und Baritonsoli, deren Orchesterpart neben zwei Trompeten ausschließlich dunkle Timbres (Fagotte, Hörner, tiefe Streicher, Harfe, Orgel) aufweist.
Diese klanglich wunderbar ausgehörte Version steht im Mittelpunkt der neuen, gänzlich Fauré gewidmeten CD-Produktion des Orchestre de Paris und seines Chefdirigenten Paavo Järvi. Neben dem Requiem sind zwei Jugendwerke für Chor und Orchester zu hören Super flumina Babylonis und der Cantique de Jean Racine , außerdem die berühmte Pavane in der Chorfassung und die kaum weniger populäre Élégie für Cello, deren Solopart mit schlankem und doch warmem Ton souverän von Eric Picard, dem Solocellisten des Orchesters, dargeboten wird. In den übrigen Werken präsentiert sich mit dem Chur de lOrchestre de Paris ein sehr homogenes Vokalensemble, dessen klangliche Ebenmäßigkeit gewiss seiner britischen Schulung durch Chorus Master Stephen Betteridge zuzuschreiben ist. Marginale Intonations- und Synchronitätswackler mögen der Tatsache geschuldet sein, dass es sich laut Booklettext um Livemitschnitte handelt.
Dass Paavo Järvi zu denjenigen Dirigenten der jüngeren Generation zählt, denen Klang und Gestus der historischen Aufführungspraxis zur zweiten Natur geworden sind man denke an den vielgerühmten Beethoven-Zyklus mit der Kammerphilharmonie Bremen , ist auch dem Spiel des Pariser Orchesters anzuhören. Gewiss, es handelt sich nicht um Alte Musik, doch enthält zumal das Requiem eine Fülle von Archaismen, die in der hier praktizierten Spielweise ideal zur Geltung kommen. Wir vernehmen einen reinen, von kontrolliertem Vibrato geprägten und doch volltönenden Orchesterklang und sind beglückt!
Zum ungetrübten Hörgenuss tragen zwei außergewöhnliche Gesangssolisten bei: Matthias Goerne, vielbewundert als Liedsänger, trifft im Offertorium und Libera me einen Ton, dessen Ausdrucksfülle wie maßgeschneidert zu den dunklen Orchester-Couleurs anmutet. Ein leider nur dreieinhalb Minuten währendes Wunder vollbringt Countertenor Philippe Jaroussky: Der inzwischen auch als Interpret von Fin-de-Siècle-Musik Gerühmte singt das ursprünglich für einen Knabensopran erdachte, himmlisch schlichte Pie Jesu mit Hingabe und stupender Technik.
Gerhard Anders