Hoffmann, Freia (Hg.)

Reiseberichte von Musikerinnen des 19. Jahrhunderts

Quellentexte, Biographien, Kommentare

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2011
erschienen in: das Orchester 05/2011 , Seite 66

Reisen waren für Musikerinnen – ob als fahrende Musikerinnen, Mitglieder eines Damenorchesters oder als Sängerinnen – wie für ihre männlichen Geschlechtsgenossen stets eine Notwendigkeit, schon um sich eine neue Zuhörerschaft zu erschließen. „Unterscheiden sich Reiseberichte von Musikerinnen von denjenigen ihrer männlichen Kollegen?“, fragt die Herausgeberin.
Das lässt sich anhand der bunten Sammlung von Reise- und Konzertberichten, die unterschiedliche Schwerpunkte besitzen, nicht beantworten. Die kurzen Auszüge aus Tagebüchern, Autobiografien und Briefen lesen sich kurzweilig, ob sie nun Landschaften beschreiben oder sich mit den Auftritten befassen. So berichtet die Geigerin Hortensia Zirges kaum von eigenen musikalischen Erlebnissen, dafür umso mehr von ihren Besuchen bei „hochgestellten Persönlichkeiten“; die Sängerin Lilli Lehmann hingegen lässt uns an ihren Proben und Aufführungen anlässlich einer Konzertreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1885/86 teilnehmen. Einige Berichte haben durchaus ihren eigenen Reiz, auch wenn die Gründe für ihre sprachlich unterschiedliche Wiedergabe offen bleiben: Teils sind sie übersetzt (Cristiani), teils in der Originalsprache belassen (Boissier auf französisch). Smyth wird auf Deutsch wiedergegeben, der Kommentar
ihres Zeitgenossen wiederum im englischen Original.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben neben Buchauszügen entlegene Quellen aufgestöbert und liefern in knappen Erläuterungen und Fußnoten sorgfältige Informationen zum Text, wobei durchaus auch kritische Töne zu vernehmen sind, die sich u.a. auf kolonialistische Äußerungen der Künstlerinnen beziehen. Nicht alles stammt erwiesenermaßen aus der Feder der Frauen selbst; so ist unklar, ob der Vater von Hortensia Zirges in ihre Berichte eingriff.
Die fünf auf einer Pferdekutsche sitzenden Herren, die auf dem Titelbild zu sehen sind, mögen vielleicht als Hinweis dafür dienen, dass Frauen sich damals innerhalb der Kutsche aufzuhalten hatten: Insofern ist es wichtig, dass die Texte des Buchs der Sichtbarmachung reisender Frauen dienen. Allerdings entsteht etwas Ratlosigkeit angesichts der Frage, an wen sich die etwas beliebig wirkende Zusammenstellung eigentlich richtet. Besser wäre es gewesen, sich auf eine Berufsgruppe (beispielsweise der Sängerin) zu konzentrieren, um vergleichbare und wissenschaftlich verwertbare Erkenntnisse zu gewinnen. Aber hier ist zumindest ein Anfang gemacht, denn der Vorteil der aus Archiven oder Privatbesitz stammenden Quellen ist, wie Beatrix Borchard zutreffend anmerkt, der sozialgeschichtliche Wert: „Das Leben von ChoristInnen und namenlosen Sängerinnen bietet keinen Stoff für romanhafte Darstellungen“ (wie bei berühmten Künstlerinnen und Künstlern): „Eine ,Theatergeschichte von unten‘ wurde bis heute nicht geschrieben.“
Eva Rieger

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