Garaventa, Alexandra

Regietheater in der Oper

Eine musiksoziologische Untersuchung am Beispiel der Stuttgarter Inszenierung von Wagners Ring des Nibelungen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Martin Meidenbauer, München 2006
erschienen in: das Orchester 01/2007 , Seite 80

Interdisziplinäres Arbeiten heißt ein Modewort, eine Sache, die den Wissenschaftsbetrieb voranbringen und neue Sichtweisen und aktuelle Ansätze auch in die eingefahrenen Kunstwissenschaften hineinbringen soll. Das könnte fraglos gut tun. Aber wie so eine inter- oder, wohl treffender, transdisziplinäre Herangehensweise aussehen sollte, darüber gehen die Meinungen – interkulturell – zunächst einmal weit auseinander. In jedem Fall sollte man aber wohl wenigstens in einer der beteiligten Hauptdisziplinen wirklich zuhause sein.
Alexandra Garaventa ist zwar primär Soziologin, dennoch führt sie ihre kultursoziologische Studie (eine Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich) zum Regietheater so tief in die Gründe der Musik- und Theaterwissenschaft hinein, dass dieser Anspruch wohl nicht mehr eingelöst werden kann. Motiviert aus Passion – wie die Einleitung belegt – steckt in dieser Arbeit eine gehörige Portion Naivität.
Das Buch bleibt an der Oberfläche des Problems! Weil das Phänomen des Regietheaters losgelöst vom generellen – und viel älteren – Problem der Operninszenierung behandelt wird, entstehen Unschärfen und unnötige Polarisierungen. Davon, dass irgendwo eine Oper als Werk an sich steht, die etwas Museales hat, geht heute nicht einmal mehr die Musikwissenschaft aus. Da ist von „klassischen“ Stoffen, Handlungszeiten usf. die Rede, denen dann die Sicht des Regisseurs mit ihren Aktualisierungen entgegensteht. Das Problem der sozialen Aktualisierung und Politisierung, das für die Autorin von Interesse ist, wird nicht eingegrenzt.
Und so fasst Garaventas Begriff von Regietheater eben nicht nur „Regietheater“ im ursprünglichen Wortsinne. Das wäre tatsächlich eine Erscheinung, die in den vergangenen 30 Jahren um sich greift – wie es unterstellt wird. Aber die Idee von Opernregie als eigenständiger Kunst, die hier eigentlich vage gefasst wird, hat durchaus ältere Wurzeln. Gerade in der Wagner-Regie – Garaventa setzt sich mit dem Stuttgarter Ring exemplarisch analytisch auseinander – ist Chéreau sicher ein Gipfelpunkt, aber kein eigentlicher Beginn. Begriffsschärfe (Fragen nach der Herkunft des Terminus im Schauspiel und seiner Bedeutung etc.) hätte da eine Menge gebracht.
Und auch die beschreibende Analyse ist zwar interessant, jedoch bleiben ihre Kategorien schwammig. Die große Chance ist die Darstellung einer Geschichte der Regie im Musiktheater. Hier wird zusammengefasst, und als Überblick für den Einsteiger kann das sogar etwas bringen. Als „der Weg dorthin“ (also zum Problem) muss man es sich selbst interpretieren. Die Chance, warum zu fragen, nach den sozialen Ursachen dieses musikalischen „Regietheaters“, hat die Soziologin vergeben.
Geholfen ist mit diesem Werk wohl niemandem: weder dem Gegner noch dem Anhänger des Regietheaters und kaum den beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen, die eben genau diesen Drang zum Oberflächenwissen bemängeln müssen.
Tatjana Böhme-Mehner