Theodorakis, Mikis / Harald Genzmer

Raven/Adagio – Fantasia for Harp/Harp Concerto

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GMP 04508
erschienen in: das Orchester 10/2005 , Seite 84

Recht unkonventionell ist die Zusammenstellung der Werke auf der vorliegenden CD. Der rote Faden, der fast alle eingespielten Kompositionen von Mikis Theodorakis und Harald Genzmer verbindet, ist die Beteiligung der Harfe, die in unterschiedlichen Funktionen auftritt: rein solistisch, in konzertantem Dialog mit dem Orchester, aber auch als Begleitinstrument der Singstimme. Kirsten Ecke, die schon mit 22 Jahren als eine der jüngsten Soloharfenistinnen an das Staatstheater Meiningen berufen worden war, vollzieht den Rollenwechsel mühelos und bestätigt ihren ausgezeichneten Ruf als Interpretin.
Im Verlauf ihrer Karriere wurde Kirsten Ecke unter anderem mit dem Harald-Genzmer-Förderpreis ausgezeichnet, und zwei Werke dieses Komponisten stehen im Mittelpunkt ihrer Darbietung. Höchst differenziert in Lautstärke und Klangfarbe lässt sie ihr Instrument im „Largo e sempre rubato e con fantasia“ überschriebenen Kopfsatz und im „Intermezzo“ von dessen Fantasie für Harfe erklingen; rhythmisch profiliert, aber doch nie bloß mechanisch wirkt ihr Spiel in den schnellen Sätzen. Sanft fügen sich die Arpeggien ihres Instruments bei Genzmers Harfenkonzert in den Orchesterklang ein oder geben ihm selbstbewusst Widerpart.
Kompetent und einfühlsam begleitet wird Kirsten Ecke in Genzmers Konzert von der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie, die auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken kann: Der 1948 als „Staatliches Kulturorchester Schönebeck“ gegründete Klangkörper hat nach Zeiten vorübergehenden Niedergangs seit den 1990er Jahren einen neuerlichen Aufschwung genommen. Unter der Leitung des aus Griechenland stammenden Chefdirigenten Stefanos Tsialis hat sich das Orchester inzwischen einen guten Ruf über die Region hinaus erworben und konnte mit verjüngter Besetzung Erfolge bei Konzerten, Rundfunkaufnahmen und Auslandstourneen feiern.
Stefanos Tsialis pflegt eine besondere Beziehung zum Werk seines griechischen Landsmanns Mikis Theodorakis, dessen Oper Medea er einst in Meiningen zur deutschen Erstaufführung brachte. Auf der vorliegenden CD nimmt sich Tsialis zusammen mit seinem Orchester, Kirsten Ecke und der Sängerin Carolin Masur eines der „Chansons fleuves“ von Theodorakis an: Raven, das einen von Edgar Allan Poe angeregten Text des griechischen Dichters und Literatur-Nobelpreisträgers Giorgos Seferis als Grundlage hat.
Theodorakis selbst hat Raven einmal als „ein innerhalb meines Gesamtschaffens herausfallendes Werk, eine Art musikalischen Traum, abgehoben, jenseits der Realität“ bezeichnet. Traumverloren klingt denn auch die Interpretation der Sopranistin Carolin Masur, die die kontemplative Lyrik von Seferis in Theodorakis’ archaisierender Vertonung über tremolierendem Klanghintergrund mit ihrem sinnlichen, in allen Lagen präsenten und ausgeglichenen Mezzo in großen Bögen aufleuchten lässt. Quasi Zugabe ist nach diesem breit entfalteten Gesang ein ebenfalls von Theodorakis stammendes orchestrales Adagio von nur drei Minuten Dauer.
So erfreulich sich die CD-Veröffentlichung in ihrem Repertoirewert und ihrem interpretatorischen Niveau ausnimmt, so wenig mag das CD-Booklet zu befriedigen. Zwar werden die beteiligten Musiker ausführlich porträtiert, dafür bleiben die Informationen über die dargebotenen Werke mehr als dürftig. Noch nicht einmal zu einem Abdruck des Textes von Raven hat es gereicht. Dem Hörer bleibt es überlassen, sich über den geistigen Hintergrund der Komposition anderweitig zu informieren.
Gerhard Dietel