Ravel, Maurice

Ravel

Rubrik: CDs
Verlag/Label: the spot records 28869-5
erschienen in: das Orchester 03/2007 , Seite 90

Susanna Yoko Henkels erste CD mit Werken für Solovioline wurde 2001 mit großer Begeisterung aufgenommen. So kürte sie das englische Magazin The Strad zur CD des Monats. Inzwischen tritt die Künstlerin als Solistin bei renommierten Orchestern und Festivals wie den Ansbacher Bachwochen oder den Ludwigsburger Schlossfestspielen auf. Bei der Debut-CD fielen Henkels makellose Perfektion und die Natürlichkeit ihres Spiels besonders positiv auf. Sie ist eine begnadete Technikerin und versteht es, einen makellos schönen Violinklang mit runder und warmer Tiefe und stets weicher, nie scharfer Höhe hervorzubringen.
Hört man ihre neuen CDs im Auto, also nur mit teilweiser Konzentration, so ist man hoch beglückt. Doch legt man die CDs daheim in seinen vier Wänden auf und konzentriert sich allein auf die Musik, tritt irgendwann Langeweile ein. Ob es sich um Ravel oder Bach handelt, die Musik läuft zu glatt ab, Überraschungen, Eruptionen, Erschütterungen fehlen. Es wäre falsch, ihr Spiel als emotionslos zu bezeichnen. Aber es sind begrenzte Emotionen, die hier gezeigt werden. Bei Henkels Spiel fühlt man sich unwillkürlich an modernes Design erinnert, wie es von der Werbung bis hin zu Clips von Popkünstlern vorherrscht. Wer Henkels durchstilisierte Website (www.susanna-yoko-henkel.com) anschaut, wird auch dort dieses Design finden: die Künstlerin in makellos schönen Fotos wie ein Popstar.
Die Musik von Ravel und Bach kann überzeugend auch als universaler Beitrag zum modernen Weltdesign gespielt werden, das von Tokio bis Los Angeles vorherrscht. Das beweist die Künstlerin. Doch das Besondere von Bach oder Ravel geht so verloren. Insoweit ist der Titel pure Bach etwas irreführend. Es ist kein „reiner“ oder „unberührter“ Bach, vielmehr ein synthetischer Bach, durch dessen Musik Romantik, Filmmusik, der Perfektionismus der CD und die leichte Konsumierbarkeit heutiger Popmusik hindurchgegangen sind. Dasselbe gilt übrigens auch für ihre Ravel-Interpretation.
Was fehlt? Man hört es schnell, wenn man Henkels Interpretation der Bach-Solosonaten etwa mit der von Thomas Zehetmair oder mit der gerade bei ECM neu erschienenen von John Holloway vergleicht: Susanna Yoko Henkel spielt schöne Töne, Melodien und Klänge, aber ohne über jeden Ton nachgedacht zu haben, überlegt zu haben, welches Gewicht, welche Aussage, welche Bedeutung er hat. Im vielstimmigen Adagio der g-Moll-Sonate wirken auch die mutigsten Dissonanzen noch klangschön. Doch eine Gewichtung zwischen Hauptnoten und Verzierungen vermisst man. Die Töne der Fuga perlen in bewundernswürdiger Leichtigkeit, doch dass hier jeder Ton ein unterschiedliches Gewicht hat und in spannungsvollen Beziehungen zu den anderen steht, kann man hier nicht hören. Das abschließende Presto ist nichts als virtuos. Doch dass Bach seinen Läufen auch einen musikalischen Sinn gab, entgeht dem Hörer.
Dass Henkel über die historische Dimension der Musik nachdenken würde, dass sie versuchen würde nachzuvollziehen, wie im Barock gefühlt, musiziert und gestaltet wurde, kann man bei ihrem Ansatz nicht erwarten. Ihre Interpretation ist nicht „pure“, sondern „light Bach“: nämlich leicht zu hören. Insofern hat diese Interpretation durchaus ihre Berechtigung: Sie macht klassische Musik konsumierbar für die globale Vermarktung.
Franzpeter Messmer