Raritäten. Kammermusikalisch

Rubrik: CDs
Verlag/Label: musicaphon M 56916
erschienen in: das Orchester 09/2010 , Seite 69

Da möchte man Mäuschen gewesen sein im Münchner Hofopernorchester, als Richard Wagners Opern aufgelegt wurden und der ehrwürdige konservative Franz Strauss wutentbrannt seinen Hornpart herausblies – herrlich und doch mit höchstem Widerwillen. In der berühmten „Prügelfuge“ in den Meistersingern war es um den alten Herrn endgültig geschehen: Er ließ Wagner Wagner sein und fuhr mit einem verzweifelten O du lieber Augustin dazwischen. So beschreibt es Kurt Wilhelm, ein Freund der Familie Strauss – und konnte sich einer nachhaltigen Wirkung dieser Anekdote in der Musikgeschichtsschreibung sicher sein.
Viel weniger bekannt ist, dass Franz Strauss, einer der besten Hornisten seiner Zeit, auch als Komponist tätig war. Bei dieser Nebenbeschäftigung konzentrierte er sich zwar verständlicherweise auf Werke für das eigene Instrument, doch diese erfreuen sich unter Hornisten bis heute großer Beliebtheit. Mit dem von Roman Brogli-Sacher geleiteten Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck hat nun auch die renommierte Hornistin Marie Luise Neunecker zwei Konzerte von Franz Strauss eingespielt. Interessant ist dabei vor allem die Aufnahme des zweiten Konzerts Es-Dur op. 14, das erst der Hornist Hans Pizka nach dem Tod des Komponisten herausgegeben hat. Eine andere Aufnahme scheint derzeit nicht verfügbar zu sein.
Natürlich kommt weder dieses Konzert noch das bekanntere erste in c-Moll, das auf dieser CD ebenfalls enthalten ist, an die berühmten zwei „Nachfolger“ von Richard Strauss heran. Immer wieder springt die Musik in den Leerlauf, und auch die harmonische Vielfalt ist nicht überbordend. Doch mitunter gelingen dem Vater schöne, weit ausgreifende Melodiebögen, und natürlich setzt er das Soloinstrument so ein, wie es Hornisten lieben: strahlend, romantisch, virtuos – und ohne Unmögliches zu verlangen.
Marie Luise Neunecker, die zu den bekanntesten deutschen Hornistinnen und Hornisten der Gegenwart zählt, lässt bei diesen Werken, denen übrigens die reizende Serenade für Bläser op. 7 von Richard Strauss vorgeschaltet ist, natürlich nichts anbrennen. Mit mächtigem Ton geht sie die Strauss-Konzerte an, Läufe, Dreiklangsbrechungen und Spitzentöne als marginale Hindernisse mühelos überwindend. Und doch: Wer einmal die Finesse und Leichtigkeit zum Beispiel eines Radek Baborák kennen gelernt hat, wird seine Fragen an diese sehr „deutsche“, etwas schwerblütige Art Horn zu spielen, haben.
Eine absolute Rarität wartet dann am Schluss dieser CD mit einer Orchesterfassung von César Francks Klavierquintett f-Moll, einem Zwitter zwischen Sinfonie und Klavierkonzert, das der Solist Mathias Weber selbst bearbeitet hat. Das ist insoweit eine spannende Idee, als Francks Quintett durchaus aus dem kammermusikalischen Anzug herausdrängt. Die Adaption lässt sich, abgesehen von Unsauberkeiten in den Bläsern, auch durchaus hören. Und doch scheint es letztlich, als sei das Original gegenüber der Bearbeitung ungleich dichter gewebt. Wo ursprünglich (etwa am Anfang des ersten Satzes) höchste Intensität vorherrscht, vermittelt die Orchesterfassung eher Resignation: ein faszinierendes Experiment, doch nur mit bedingter Aussicht auf weitere Verbreitung.
Johannes Killyen