Hennenberg, Fritz
Ralph Benatzky
Operette auf dem Weg zum Musical. Lebensbericht und Werkverzeichnis
1935: Deutschland im Griff des Nazi-Regimes; Ralph Benatzky (51) befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Seine Revue-Operette “The Flying Trapeze! wird in London uraufgeführt, Der reichste Mann der Welt gelangt in Wien zur Uraufführung. Sein weltbekanntes, erfolgreichstes und einträglichstes Bühnenwerk “Im weißen Rössl” ist fünf Jahre alt.
1945: Ende des Zweiten Weltkriegs. Benatzky (61) lebt seit 1938 in Hollywood. Im schweizerischen Luzern wird das Kriminalstück “Herr und Frau Nord” 1946 uraufgeführt. 1948 kehrt der Autor mit seiner Frau nach Europa zurück; beide leben in Zürich.
1955: Der Erfolgskomponist (71) hat seit 1948 kein Bühnenwerk mehr geschrieben. Die Lustspieloperette “Märchen an Bord” erschien in einem Stockholmer Theaterverlag, wurde aber nicht aufgeführt. Benatzky wandte sich der Filmmusik zu und schrieb Kompositionen für 1951 uraufgeführte Filme: “Unvergängliches Licht” (Regie: Arthur Maria Rabenalt) und “Verklungenes Wien” (Regie: Ernst Marischka). Posthum erschienen Sammlungen von Chansons, Liedern, Evergreens und Wiener Liedern für Gesang und Klavier (1960 und 1984).
Benatzky war auch Autor von Büchern, Aufsätzen und Tagebüchern. Letztere liegen vor aus den Jahren von 1919 bis August 1957, kontinuierlich geführt bis zwei Monate vor seinem Tod. Der Wert dieser Monografie liegt darin, dem Meister der Operette, Revue, Revue-Operette zu begegnen mit all seinen Höhenflügen, aber auch mit seinen Skrupeln und Verzweiflung, unter denen der Vollblutmusiker im amerikanischen Exil litt. Hennenbergs Buch weist über Benatzkys Versuch hinaus, die Operette zur Oper aufzuwerten und erwähnt Parallelen zu Offenbachs “Hoffmanns Erzählungen” und Lehárs “Giuditta”. Der Leser gewinnt Einblicke in die Gemengelage politischer, ideologischer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten Nazi-Deutschlands mit den begrenzten Wirkungsmöglichkeiten für einen Komponisten vom Range Benatzkys, der folgerichtig 1938 aufbricht in die Illusionsfabrik Hollywood.
Trotzdem wurde sein Engagement als Bühnenkomponist in Metro-Goldwyn-Mayers Traumfabrik zum Desaster. Das Exil in den USA erlebt er als frustrierter Arbeiter für die Schublade. Mit dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland 1945 ändert sich der Musikgeschmack. Die Schleusen des für westliche Musik abgeschotteten Musikmarkts öffnen sich für das Musical, das einen beispiellosen Siegeszug durch Europa antritt. Benatzkys Operetten scheinen altmodisch geworden zu sein. Insgesamt schrieb er 54 Bühnenwerke. Hennenberg wertet die Tagebuchaufzeichnungen Benatzkys aus und eröffnet den Zugang zu dessen musikalischen Werken, deren Entstehungsgeschichte und theatralische Wirkung beim Publikum und bei der Kritik. Benatzkys Schaffensjahre von 1908 bis 1948 spiegeln die Bedürfnisse des musikalischen Unterhaltungstheaters und des Publikumsgeschmacks der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider.
Das Literaturverzeichnis des hervorragend edierten Buchs belegt die Kennerschaft des Leipziger Musikwissenschaftlers Fritz Hennenberg, der von 1995 bis 2008 sechs Aufsätze über Person und Werk des Komponisten veröffentlicht hat.
Kraft-Eike Wrede


