Ulm, Renate (Hg.)

Rafael Kubelíks “Goldenes Zeitalter”

Die Münchner Jahre 1961-1985, im Auftrag des Bayerischen Rundfunks hg. von Renate Ulm, Fotografien von Werner Neumeister, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2006
erschienen in: das Orchester 02/2007 , Seite 78

„Musik hat die Kraft, das Beste im Menschen zu wecken“: Dass Rafael Kubelík diesen Ausspruch nicht nur tat, sondern lebte, davon zeugt bis heute sein künstlerisches Schaffen, das in dieser Neuerscheinung in Bild, Wort und Ton dargestellt wird. Dieses künstlerische Schaffen war geprägt von der Humanität und Güte seines Wesens, die einem äußerst respektvollen Umgang mit sich selbst entsprangen und sich auch seinen Mitmenschen bzw. den Orchestermitgliedern mitteilten.
Einige Passagen sind der Beziehung zwischen Rafael Kubelík und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gewidmet, dessen Chefdirigent er 18 Jahre lang war, sieben weitere als Gastdirigent. Nicht umsonst bezeichnet er selbst seine Münchner Jahre als die glücklichsten seines Lebens. 1966 schrieb Joachim Kaiser: „In München lebt und dirigiert im Augenblick ein Dirigent, um den uns Europa beneidet, auf der Höhe seiner Kunst. In ein paar Jahrzehnten wird man wahrscheinlich wehmütig an solche Konzerte zurückdenken.“
Kubelík selbst formulierte es so: „Nach dem ersten Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks habe ich mich in das Orchester sehr verliebt.“ Direkt an das Orchester richtete er den Wunsch: „Ich möchte mit euch durchs Feuer gehen.“ Dass dieses Feuer zeit seines Dirigats loderte, ist auf der beigegebenen DVD zu erleben, die Rafael Kubelík bei der Probenarbeit und einem Konzertmitschnitt von Smetanas Ouvertüre zur Oper Die verkaufte Braut zeigt: Seine Begeisterung und sein Eifer spiegeln sich im Orchester wieder, während die Partitur ihren Glanz in das Antlitz des Dirigenten zu zaubern scheint. Eine beinahe magische Intensität und Wechselwirkung ist zu spüren, ein überirdisches Heraufbeschwören von Klang und Stimmung. Weitab von überflüssigen Gesten und ausschweifenden Erklärungen zwingt er das Orchester auf seine böhmisch-erwärmende Art zu absoluter Konzentration und Präzision. Eine Atmosphäre freudigen Schaffens entsteht, die er durch wiederholte Bemerkungen über die Wichtigkeit von „Humor“ und „Humanismus“ würzt.
Die 132 Seiten des Buchs, zu denen die Autorin Renate Ulm sich durch den bereits herausgegebenen Bildband über Kubelíks Prager Jahre inspirieren ließ, sind gegliedert in ein Vorwort der Autorin, Grußworte des Intendanten des Bayerischen Rundfunks Thomas Gruber, „Gedankensplitter – Erinnerungen an Rafael Kubelík“ von Wilfried Hiller und einen biografischen Essay von Albert Scharf, der hier neben musikalischen Stationen auch ausführlich über die Familie und das so prägende Verhältnis zu Rafaels Vater, dem Geigenvirtuosen Jan Kubelík berichtet.
Nach einem Exkurs über das Münchner Jahr 1972 mit fotografischen Darstellungen des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und einem Gespräch mit dem Sohn des Dirigenten Martin Kubelík beginnt der für mich bemerkenswerteste Teil des Bandes: eine Symphonie in Bildern, die Rafael Kubelík nebst einem Schatz an Zitaten auf ungeheuer lebendige Weise in Gesten, Posen und innigen Momenten festhält. Die Anordnung der Bilder ist der klassischen Sonatensatzform nachempfunden.
Es ist mir bislang äußerst selten geschehen, dass sich beim Lesen eines Buches Gänsehaut über Arme und Rücken ausbreitete. Dies ist wahrlich ein ebenso informatives wie herzerwärmendes „Gänsehaut-Buch“.
Kathrin Feldmann