Fauré, Gabriel
Quatuor
pour piano, violon, alto et violoncello en ut mineur op. 15/en sol mineur op. 45, hg. von Denis Herlin, Urtext, Partitur mit Stimmen
Als Gegengewicht zur Vorherrschaft deutscher Musik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründete eine Gruppe französischer Komponisten 1871 die Société nationale de musique, darunter Camille Saint-Saëns und dessen Schüler Gabriel Fauré. Die Werke des Letzteren sind hierzulande wenig bekannt. Neben Liedern bildet Kammermusik den Schwerpunkt in seinem Schaffen. Nicht nur als Wegbereiter Ravels war er ein Vermittler zwischen den Generationen, sondern auch durch seine Beteiligung an der Neugründung der Société 1909.
Obwohl der Gattungstradition verpflichtet und auch an die deutsche Romantik anknüpfend, sucht man gemäß der genannten Zielsetzung nach typisch Französischem, originären Klangfarben, der clarté. Das erste Klavierquartett op. 15 bietet hierzu z.B. ein durch die Überlagerung von 6/8- und 2/4-Takt originelles Scherzo mit durch Moll-Dominanten und so genannte 11er-Akkorde klanglich reizvollem Trio. Die Harmonik in der Schlussgruppe des Kopfsatzes besteht aus Mixturen, einem beliebten Mittel des Impressionismus. Solche Klanglichkeiten bilden freilich nur Inseln in einer erweiterten spätromantischen Harmonik mit Vorlieben für Mediantik und Chromatik. Opus 45 beginnt mit einer weit ausschwingenden melodischen Linie, die das Kammermusikalische fast hinter sich lässt. Faurés Verarbeitungstechnik hebt auf Farbigkeit ab, weniger auf motivisch-thematische Arbeit oder Kontrapunktik. Auffällig häufig sind Unisono-Führungen der Streichinstrumente. Die Formgebung der Sätze ist traditionell und klar.
Die von Bärenreiter vorgelegten Ausgaben sind Bestandteile der Gesamtausgabe. Die umfänglichen Vorworte in drei Sprachen beziehen sich in erster Linie auf die Entstehungsgeschichte der Werke, wobei diejenige zum zweiten Klavierquartett nur rudimentär vorliegt. Minimale Druckfehler schmälern den positiven Eindruck nicht. Der Revisionsbericht liegt nur im Abschlussband der Gesamtausgabe vor, sodass Entscheidungen des Herausgebers hier nicht nachvollzogen werden können. Einige Legatobögen sind wieder gestrichen, Eingriffe bei Dynamik und Akzidentien sind nur in der Partitur im Kleindruck gehalten, nicht jedoch in den Stimmen der Streicher. Primäres Ziel war es, einen spielbaren Text vorzulegen, und dies ist in der gewohnt hohen Qualität und guten Lesbarkeit geschehen. Das verworfene Finale des ersten Quartetts ist der Ausgabe nicht beigegeben.
Adressaten dieser Klavierquartette dürften fortgeschrittene Musikstudenten sowie professionelle Musiker sein. Die Klavierparts beschränken sich oft auf Figurenwerk und rhythmische Impulsgebungen, sie sind technisch schwer, im Gegensatz zu den Streicherparts, die sich in moderaten Lagen bewegen, einzig der Schlusssatz des zweiten Quartetts nutzt die hohen Lagen der Violine aus. Und das Publikum? Kammermusik hat leider keines, ließe sich überspitzt sagen, berühmte Streichquartette einmal ausgenommen. Das ist insofern zu bedauern, als dass Kammermusik die für kompositorisch-stilistische Entwicklungen entscheidende Domäne war, auch bei der Etablierung der für das 19. Jahrhundert so wichtigen nationalen Schulen. Faurés Klavierquartette verdienen aufgrund ihres hohen kompositorischen Niveaus eine größere Verbreitung.
Christian Kuntze-Krakau


