Krzysztof Penderecki

Quartetto per archi no. 4

Partitur und Stimmen, hg. und vervollständigt von Claus-Peter Ludwig

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott, Mainz
erschienen in: das Orchester 6/2024 , Seite 67

Letzte Werke genießen häufig einen besonderen Ruf, insbesondere dann, wenn sie unvollendet sind. Im Fall von Krzysztof Pendereckis letztem, seinem vierten Streichquartett lag das Finale bisher nur unvollständig vor, wenngleich dieser dritte Satz vergleichsweise wenig ergänzender Arbeiten durch Claus-Peter Ludwig, dem langjährigen Lektor Pendereckis, bedurfte. Ludwig konnte sich dabei auf eine vollständig angelegte Satzstruktur und zum großen Teil fertige Komposition verlassen, die ein entscheidender Teil dieses letzten Streichquartetts ist und gut die Hälfte der gesamten Spielzeit einnimmt.
Die vom Belcea Quartett 2016 noch zu Lebzeiten des Komponisten uraufgeführten ersten beiden Sätze können durchaus als eine Einleitung zum schwergewichtigen Finale verstanden werden; und der erste Satz Andante wiederum vermittelt das Gefühl, als sei er als langsamer Prolog zum zweiten, „vivo“ überschriebenen Teil gedacht, der in eher ruhiger Bewegung ausklingt. Das Finale beginnt robust und zielstrebig, und im Verlauf eines reich gegliederten Satzes bietet Krzysztof Penderecki noch einmal die strukturelle und klangliche Klarheit, die ihn in den Ohren eines aufmerksamen Konzert-
publikums in den letzten Jahrzehnten seines Schaffens bereits zu einem „Klassiker“ der modernen Musik gemacht haben.
Wie selbstverständlich klingt Pendereckis Musiksprache durch das Medium Streichquartett, absolut überzeugend ist seine Behandlung der vier Streicher. Diesem vierten Streichquartett haftet so gar nichts Artifizielles oder Konstruiertes an, die vier Stimmen verschmelzen stattdessen zu einem großen Instrument mit enormer dynamischer Bandbreite und einer großen Farbpalette. Virtuosität ist hier kein Stilmittel, doch fordert die faszinierende Partitur gestalterische Meisterschaft. Klang, Struktur und Bewegung bilden hier eine unverbrüchliche Einheit, wie sie der große polnische Komponist in vielen Fällen und für unterschiedlichste Besetzungen zu entwerfen in der Lage war.
Ohne außermusikalisches Programm als Grundlage ist Krzysztof Pendereckis viertes Streichquartett ein Stück absoluter Musik, die viel des in einem langen und fruchtbaren Komponistenleben Erreichten vereint. Man versteht, warum ihm die Komplettierung dieses letzten Kammermusikwerks am Ende seines Lebens so wichtig war.
Daniel Knödler