Schickling, Dieter

Puccini

Biografie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carus/Reclam, Stuttgart 2007
erschienen in: das Orchester 11/2007 , Seite 83

Der Titel ist kurz, das Buch umfangreich. Verfasst von Dieter Schickling, der sein eigenes, 1989 erschienenes Puccini-Buch einer Bearbeitung und Erweiterung unterzogen hat. Es besteht aus einem biografischen Teil und einem Anhang, der minutiös aufbereitetes Datenmaterial, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein genaues Register enthält.
Die Schilderung von Puccinis Leben folgt dem klassischen Prinzip der Chronologie. Wie in einem großen Panorama entfalten sich die Jahre der Jugend und Ausbildung, die des Aufstiegs sowie die der Krisen. Schickling konzentriert sich dabei natürlich auf den Komponisten Puccini, wobei auch dessen Interesse für Automobile, Reisen, Häuser und die Jagd zu Wort kommen und ins Bild gelangen. Natürlich werden auch die vielen Frauen an Puccinis Seite erwähnt.
Auf den ersten Blick liest sich dieses Leben durchaus als geschlossenes Ganzes, das in einem bedeutenden Opernwerk gipfelt. 1893 gelingt Puccini mit Manon Lescaut jener Durchbruch zum künstlerischen und finanziellen Erfolg, der sich mit den Opern La Bohème, Tosca und Madame Butterfly endgültig manifestiert. Damit einher geht ein sozialer Aufstieg, der Puccini Zugang zu den höchsten Kreisen in der ganzen Welt gewährt.
Private und künstlerische Krisen bleiben dennoch nicht aus. Familiäre Zwistigkeiten, ein unrühmliches Gerichtsverfahren, eine unheilbare Kehlkopfkrankheit verweisen auf Schattenseiten eines von Luxus übersättigten Lebens. Die künstlerische Krise Puccinis zeigt sich in dessen ambivalenter Haltung gegenüber der so genannten Modernen Musik (Schönberg), die ihn eine vergleichsweise moderne Partitur wie den Gianni Schicchi schreiben ließ, aber auch eine La-Bohème-Partitur, die seinen Komponistenruhm bis heute garantieren.
Eine große Stärke von Schicklings Studie liegt darin, dass er das problematische Verhältnis des Opernkomponisten zur Moderne auslotet: Einerseits finden sich kühne, von der traditionellen Harmonik sich entfernende Klangwelten (Butterfly) oder auch bewusst geplante diskontinuierliche Szenenabfolgen (Il Trittico), die, so Schickling, die Dramaturgie des Wozzeck aufweisen; andererseits die Rückkehr zu opulenten Klangwelten, gemischt mit kompositorisch-technischen Elementen aus der Wiener Schule. Für Schickling ist gerade die unvollendet gebliebene Oper Turandot Indiz für die „Unsicherheit“ Puccinis darüber, „wie eine moderne Musik überhaupt auszusehen hätte“.
Den opernanalytischen Kapiteln korrespondieren jene, die die Beziehungen des Komponisten Puccini zu seinem Verleger, seinen Librettisten, Interpreten (Toscanini) und Komponistenkollegen (Schönberg) aufzeigen. Die Materialfülle ist beeindruckend – manchmal auch überbordend: Auf rund einer Textseite erfährt man z.B. etwas von dem Besuch Puccinis bei der spanischen Königinmutter, von der Korrespondenz mit den Librettisten, von einer Ägyptenreise, einem Zeitungsinterview, einer erkrankten Ehefrau Elvira, von Toscanini in New York, von Puccinis Diabetes und von dem Tod einer Hausangestellten.
Innerhalb der Puccini-Forschung dürfte Schicklings Studie ihren solitären Rang beanspruchen, vor allem auch deshalb, weil hier der Komponist Puccini vor dem Hintergrund der Epochenschwelle zwischen Spätromantik, Verismus und Moderne gesehen und als unsteter, suchender Wanderer zwischen diesen Welten interpretiert wird.
Winfried Rösler