Mendelssohn Bartholdy, Felix
Psalmen und Motetten/Oratorium Christus op. 97
Das letzte Drittel seines Lebens verbrachte Felix Mendelssohn in Leipzig. Der rastlose, viel- und weitgereiste Komponist amtierte seit 1835 als Leiter der Gewandhauskonzerte, betrieb seit 1839 die Gründung eines Konservatoriums und vollendete hier, was er mit der Berliner Wiederaufführung der Matthäus-Passion im März 1829 begonnen hatte: Johann Sebastian Bach und seine Musik zu rehabilitieren, sowohl im praktischen Musikbetrieb wie auch in Form eines Denkmals, das Eduard Bendemann im Auftrag Mendelssohns im April 1843 vor der Thomasschule errichtete. Drei Jahre zuvor hatte der Vielbegabte an der Orgel der Thomaskirche sogar ein Benefizkonzert gegeben.
Die neue, sich ausschließlich Geistlicher Musik Mendelssohns widmende CD des Thomanerchores erinnert an die Verbindung des Komponisten mit Leipzig. Dabei hatte Mendelssohn mit den Thomanern nicht viel zu tun; sie sangen nur selten unter seiner Leitung, etwa zur Einweihung des Denkmals, auch beim Festkonzert zum Gutenberg-Jahr 1840, und es scheint Mendelssohn gewesen zu sein, der nach dem Tod von Christian Theodor Weinlig (dem Lehrer Richard Wagners und Clara Schumanns) im Jahr 1842 den angesehenen Komponisten, Dirigenten und Bach-Kenner Moritz Hauptmann aus Kassel ins Thomaskantorat nach Leipzig lotste.
Die Gesamtausgabe der Werke Felix Mendelssohns wird noch heute von Leipzig aus betreut, wobei das geistliche Werk inzwischen komplett beim Carus-Verlag in Stuttgart erschienen ist, zusammen mit einer unübertrefflichen CD-Edition des Kammerchores Stuttgart unter Frieder Bernius.
Gegen diese Konkurrenz haben es die von Georg Friedrich Biller geleiteten Thomaner schwer, vor allem, den vermeintlich romantisch biegsamen und homogenen Ton zu treffen und größere Phrasierungseinheiten spannend zu gestalten. Andererseits wird die konservative Perspektive auf die ältere Musik, die Mendelssohn in diesem Segment seines Schaffens pflegte, durchaus und nicht nur durch den Knabenchorklang deutlich.
Das modernste Werk in diesem Sinn ist zugleich das einzige dieser CD, das Mendelssohn selbst veröffentlichte: die herrlich sangliche, am Neujahrstag 1838 in Leipzig (jedoch nicht von den Thomanern!) uraufgeführte Vertonung des 42. Psalms.
Interessant ist die Begegnung mit dem posthum veröffentlichten Fragment des Oratoriums “Christus”, von dem man sich kaum vorstellen kann, dass es die geistes- und musikhistorische Wirkung des “Paulus” oder “Elias” erreicht hätte. Gegliedert wird das Stück in dieser aus drei Konzerten zusammengeschnittenen Aufnahme durch die sechs Sprüche op. 79 für achtstimmigen Chor a-cappella, denen man hier und da bessere Intonation wünschte. Es ist eben kein Standardrepertoire, und genau solche Entdeckungen machen die CD, die ferner zwei kleine Choralkantaten und den 98. Psalm enthält, anhörenswert!
Andreas Bomba