Witzenmann, Wolfgang
Protopars
für Böhmflöte solo (1969)
Über die Uraufführung dieses Zehn-Minuten-Stücks während der Internationalen Gaudeamus Musikwoche 1970 schrieb der Rezensent der niederländischen Tageszeitung Het Centrum: An Klangexperimenten hat es an diesem Abend nicht gefehlt. In Protopars von Witzenmann gab sein Kollege Gerhard Braun eine Demonstration dessen, was noch alles geschehen kann, wenn das Instrument auseinandergezogen wird und Mundstück, Mittelstück und Endstück einzeln geblasen werden. Es waren Atem-, Zisch-, Spuck- und Rülpslaute, von denen es einem auf die Dauer übel wird.
Vom Anhören dieses Stücks wird es heute wohl niemandem mehr übel werden. Inzwischen spielt quasi jeder Anfänger seine ersten Stücke auf dem Kopfstück solo; auch Kompositionen mit diversen neuen Spieltechniken gehören zum Repertoire der meisten Flötisten. Dennoch ist Pars-pro-Toto-Spielen zumal im Konzert noch immer eher unüblich. Wird sich das durch Protopars verändern?
Dem 1937 in München geborenen Komponisten, Musikhistoriker und Flötisten Wolfgang Witzenmann ging es in Protopars nicht um konventionelle Klangschönheit, sondern vielmehr um eine oft karikaturhafte Erweiterung der Flötenklangwelt. Gespielt wird nicht nur auf der ganzen Flöte (System Böhm mit C-Fuß), sondern auch auf dem Kopfstück solo, auf Mittel- und Fußstück, Fußstück solo, Kopf- und Fußstück. Die Partitur verbindet Zeitleiste, verbale Erläuterungen zur Spiel- und Artikulationstechnik, grafische und konventionelle musikalische Notation. Die Anweisungen sind ausführlich, verständlich formuliert und flötistisch größtenteils gut umsetzbar.
Protopars erfordert in allen Teilen einen äußerst vielfältigen Einsatz von Lippen, Zunge, Stimme und Atem. Durch Press-, Saug- und Prustgeräusche, flexibles Vibrato, Bending, Multiphonics, Trompetenansatz und vieles mehr wird ein breites Klangspektrum erzeugt. Dabei ist auch Experimentierfreude gefragt, zum Beispiel wenn unterschiedliche Kombinationen von Flatterlippe und -zunge oder abwechselndes Flattern mit rechter und linker Hälfte der Oberlippe vorgeschrieben sind.
Die Demontage der Flöte und das differenzierte Spielen auf einzelnen Teilen erscheinen im historischen Rückblick ohne Zweifel innovativ. Gut, dass dieses Stück aus Witzenmanns experimenteller Kompositionsphase nun noch veröffentlicht wird.
Obwohl mir etliche Klangfarben und Klangverbindungen sehr gut gefallen, werde ich mit dem Stück als ganzem jedoch nicht recht warm: zu lang, zu viele Effekte, zu viel Karikatur. Aber vermutlich eignet sich Protopars für schauspielerisch ambitionierte Spieler (ungefähr ab oberer Mittelstufe), die sich für ungewöhnliche Spieltechniken begeistern und Lust auf eine humoristische Flöten-(Teile-)Performance haben.
Andrea Welte


