Strauss-König, Richard
Prolog, Fuge und Epilog
für sinfonisches Orchester, Partitur
Anything goes: Das ist im Zeitalter der Postmoderne die saloppe Formel dafür, dass es im Bereich der Künste einen verbindlichen Zeitstil nicht mehr gibt. Gleichzeitig ist durch die modernen Medien die Kenntnis über die Musik der Vergangenheit so umfassend geworden, dass Komponieren heute stets eine kreative Auseinandersetzung mit der Tradition bedeutet. Dabei erscheint die Vergangenheit im Neuen meist gebrochen oder verfremdet; der Fall einer reinen, fast naiven Stilkopie ist die Ausnahme.
Eine solche Ausnahme bieten Prolog, Fuge und Epilog für Orchester von Richard Strauss-König, 1996 vom Philharmonischen Orchester Debrecen unter der Leitung von Hans Richter im Rahmen der Dahner Sommerspiele uraufgeführt. Der 1930 in der Pfalz geborene Strauss-König, neben seinem Hauptberuf als Lehrer seit langem vor allem im vokalen Bereich kompositorisch tätig, legt hier ein überaus klar aufgebautes Werk vor, das weder in den einzelnen Stimmen noch im Zusammenspiel größere Schwierigkeiten bereitet. Auch von der geradezu klassischen Besetzung her mit doppeltem Holz, zwei Hörnern, zwei Trompeten, Pauken und Streichern dürfte sich diese Komposition vor allem gut für die Aufführung durch Laien- und Jugendorchester eignen.
Betont konservativ ist die Tonsprache des Werks zu nennen: Seine grundlegende signalhafte Motivik baut sich aus einfachen diatonischen Intervallen auf, wobei insbesondere die Quart strukturbildend wirkt. Dem treten chromatische Wendungen als belebendes Ferment gegenüber, die besonders im kurzen Fugen-Mittelabschnitt in den Vordergrund treten, aber auch im Prolog und Epilog die dominierende C-Dur-Diatonik einfärben.
Eine völlig andere Physignomie trägt ein weiteres Orchesterwerk, dessen Partitur ebenfalls im Tonger-Verlag erschienen ist. Wo Prolog, Fuge und Epilog von Richard Strauss-König sich schon dem ersten Blick in der übersichtlichen Faktur des Satzbilds erschließen, da erweist sich die Partitur von Michael Gregor Scholls Schließe dein leibliches Auge
als weitaus verästelter und komplizierter. Ein Traumgetön nach Caspar David Friedrich nennt der 1964 in Köln geborene Scholl sein Werk, das im Jahr 2000 von der Staatskapelle Weimar uraufgeführt wurde.
Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zu Tage, was du im Dunklen gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen. Mit diesem Zitat des Malers Caspar David Friedrich als Motto ist die Komposition überschrieben, die ein höchst facettenreiches Instrumentarium vorsieht: Verlangt werden unter anderem über eine große Orchesterbesetzung mit vier Hörnern, drei Trompeten, drei Posaunen und Schlagzeug hinaus zwei Harfen, Celesta und zwei Verrofone; die Oboisten müssen alternierend zur Oboe damore und zum Englischhorn greifen, die Klarinettisten zum Bassetthorn, das zweite Fagott zum Kontrafagott.
In fünf Sätzen entfaltet sich eine vorwiegend langsame bis mäßig bewegte Musik in polyrhythmischer Anlage mit komplexen Klangschichtungen, wobei der Streicherapparat vielfach geteilt ist. Höchst differenziert ist die Behandlung der Instrumente, was unter anderem Glissandoeffekte der Streicher, Flatterzunge bei Flöten und Klarinetten oder Schlagen des Beckens mit dem Bassbogen einbezieht. Seinen dynamischen Höhepunkt erreicht Scholls Traumgetön im vierten Abschnitt (Schnell, mit Feuer), gefolgt von einem atmosphärisch wunderbaren, schließlich in Stille ersterbenden Abgesang: einer über Streichern langsam schwebenden, aus dem Klang vor allem von Bassetthörnern, Celesta, Verrofonen und Harfen gewobenen Mondmusik.
Gerhard Dietel