Björkson, Snorre

Präludium für Josse

Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Aufbau, Berlin 2006
erschienen in: das Orchester 11/2006 , Seite 85

Ach ja, die erste Liebe… Die Verlegenheit, die Unsicherheit, die Schüchternheit; wenn es einen schier zerreißt und man es trotzdem nicht schafft, die drei magischen Worte auszusprechen. Gemeinsame Spaziergänge, sogar schon mit Anfassen! Gut, dass man irgendwann erwachsen geworden ist, (hoffentlich!) erfahren hat, was wirkliche Liebe bedeutet, und lächelnd, mit leisem Schauder, womöglich sogar peinlich berührt an die damaligen Schmerzen zurückdenken kann.
Snorre Björkson ist nun auch schon bald vierzig und man fragt sich, was ihn dazu bewogen haben mag, über eine (seine?) Pennälerliebe einen ganzen Roman zu schreiben: über einen Schüler und eine Schülerin, die mit Albert Schweitzers Bach-Biografie in den Händen zu Fuß von Verden über Lüneburg nach Lübeck auf den Spuren ihres Idols wandern und einen letzten gemeinsamen Sommer verbringen, bevor Josse zum Musikstudium nach Freiburg geht, während Holtes noch drei Jahre Schule in Verden vor sich hat.
Eine Zeit lang trägt den süddeutschen Leser die exotische Atmosphäre der norddeutschen Tiefebene durch die Erzählung: wo die Menschen Josse, Holtes, Kerst und Mattens heißen, Sätze sagen wie „Dat slumpt“ und auf jeder zweiten Buchseite Wildcherry-Tee (mit Kluntje?) trinken. Doch hilft einem das auf Dauer nicht hinweg über die Unzulänglichkeit eines Lektorats, das seinem Autor Anglizismen und umgangssprachliche Formulierungen hat durchgehen lassen wie „Von dem Vorgarten des Hauses erinnere ich nur noch einen großen Spierbusch“ oder „Wo ich da so saß und Josse beim Spielen zusah, war ich ganz ruhig“. Eines Lektorats zumal, das auf dem Buchrücken „große Gefühle und den Zauber des Augenblicks in einer meisterhaft komponierten Sprache“ anpreist und nicht bemerkt, dass der Übergang zum Schwulst fließend ist.
„Es ist nicht nötig, einen evangelischen Gemeindesaal zu beschreiben“, schreibt Snorre Björkson – um im Folgenden über eine halbe Seite lang genau dies zu tun. Die Einbettung der Handlung in das Klischee eines evangelikalen Milieus voll Posaune spielender, Tee trinkender und über „weltbewegende“ Fragen philosophierender Jugendlicher, dessen Übereinstimmung mit der Realität selbst eingefleischte Atheisten anzweifeln würden, macht diesen Roman so spannend wie eingeschlafene Diakonissen.
Es wäre unrecht, diese Geschichte einer Sommerliebe mit der Sommer- und Liebesgeschichte etwa eines Kurt Tucholsky zu vergleichen, dem es gelang, einen flotten Dreier mit wirbelnder Leichtigkeit und in zärtlichsten Andeutungen zu beschreiben. Doch wird ein berechtigtes Interesse eines jeden erwachsenen Lesers bestehen, sich bei der Lektüre eines „Romans über Musik [und] große Gefühle“ nicht auf das gedankliche Niveau einer Schülerliebe hinabbegeben zu müssen.
Rüdiger Behschnitt