Ginastera, Alberto

Popol Vuh/Cantata para América Mágica

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Neos 10918
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 73

Von ihrer Bedeutung her nehmen das unvollendet gebliebene Orchesterwerk Popol Vuh und die Cantata para América Mágica im umfangreichen Gesamtwerk des Argentiniers Alberto Ginastera, der immerhin drei Klaviersonaten, zwei Klavierkonzerte, zwei Cellokonzerte, ein Harfen- und ein Violinkonzert, eine Sinfonie sowie vier Opern und Kammermusik komponierte, einen besonderen Platz ein. Im aufschlussreichen Booklet-Text teilt Christoph Schlüren das Gesamtschaffen des 1916 in Buenos Aires geborenen Komponisten (er starb 1982 in Genf), der wegen seiner politischen Einstellung mit den Militärmachthabern seiner argentinischen Heimat verfolgt wurde, in vier Phasen ein: Am Anfang stand bei dem lateinamerikanischen Komponisten eine stark national geprägte Periode. Die zweite Phase ist von komplexeren Formen und Techniken, gelegentlich
an Bartók erinnernd, geprägt; die dritte, bis in die 1970er hinein reichende, wird als Ginasteras „expressionistische“ gesehen, die den Komponisten in der Auseinandersetzung mit der Dodekafonie präsentiert, besonders des von ihm sehr geschätzten Alban Berg. In dem darauf folgenden Lebensabschnitt, in dem der Komponist nach Euro­pa übersiedelte, stand eine Verschmelzung aller musikalischen Mittel im Vordergrund.
Die 1960 geschriebene Cantata para América Mágica und auch Popol Vuh sind geprägt von der Auseinandersetzung Ginasteras mit der Geschich­te Lateinamerikas, wobei der Komponist im Zusammenhang mit dem unvollendeten Orchesterwerk Popol Vuh – der Finalsatz fehlt – von einer Art „metaphysischen Inspiration“ spricht. Obwohl nicht vollendet, wirkt das Werk nicht unvollständig. Der Partitur – besetzt mit dreifachen Holz- und vierfachen Blechbläsergruppen, vier Schlagzeugern und zwei Harfen nebst großem Streicherapparat – liegt der Schöpfungsmythos der Mayas zugrunde, und sie hat durchaus Parallelen zum biblischen Schöpfungsmythos. Nicht nur durch die archaische Wucht von Popul Vuh stellen sich Assoziationen zu Strawinsky ein. Leonard Slatkin hat denn auch Ginasteras Werk bei der Ersteinspielung mit Sacre du Printemps gekoppelt.
Stefan Asbury am Pult des souveränen WDR Sinfonieorchesters Köln, das sich auch in dem ihm doch eher fremden Repertoire überzeugend bewährt, bleibt der rhythmischen Kraft der Partitur ebenso wenig wie der Farbigkeit des Orchestersatzes etwas schuldig. Unterstützt von der Aufnahmetechnik gelingt ihm auf dieser Neueinspielung eine Interpretation, die von Temperament und Transparenz gleichermaßen geprägt ist.
Im Mittelpunkt der Cantata para América Mágica für Sopran und Percussionsorchester steht die kanadische Sängerin Rayanne Dupuis. Das 1960 entstandene Werk reizt die Möglichkeiten der Schlaginstrumente, die von einer Celesta und zwei Flügeln unterstützt werden, nicht nur in rhythmischer, sondern auch in klanglicher Hinsicht aus. Dies wird von dem Schlagzeugensemble der Musikhochschule Köln bezwingend umgesetzt. Den extremen gesanglichen Anforderungen stellt sich Dupuis mit größter Expressivität und souveräner Gestaltungskraft. Eine interessante und anregende Koppelung zweier bedeutender Werke, die auch im Konzertsaal eine Repertoireerweiterung sein könnten.
Walter Schneckenburger