poland abroad: music for string orchestra

Tansmann / Laks / Fitelberg / Karlowicz

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Edition Abseits EDA 26
erschienen in: das Orchester 10/2008 , Seite 66

Edition Abseits: Der Name ist Programm, die Macher sind Perlentaucher. Seit 1990 hat das ambitionierte Berliner Nischen-Label Komponisten und Werke aufgespürt, denen Verfolgung und Verbot das Existenzrecht nahmen und die der Mainstream des 20. Jahrhunderts überspült hat. Die CD Franz Schreker und seine Kompositionsschüler lieferte dafür ein großartiges Beispiel. Wie nun die Neuveröffentlichungen poland abroad: Acht Werke – davon sieben Ur- und eine Erstaufführung auf CD – bieten die einzigartige Essenz zweier Projekte, die dem Musikwissenschaftler Frank Harders-Wuthenow und dem Dirigenten Jürgen Bruns Entscheidendes zu verdanken haben.
Im Oktober 2004 war das Berliner Konzerthaus mit Deutschlandradio Kultur und der Berliner Universität der Künste Veranstalter des Festivals „Polen im Herzen – Komponieren in der Fremde. Polnische Komponisten in Europa 1850-1950“. Polens Beitritt zur Europäischen Union bot den Anlass. Die „Musiktage an der Oder“, die im März 2006 „Musikalischen Wechselströmen zwischen Polen, Deutschland und Frankreich“ folgten, waren eine Jahrhundert-Feier des Gründungskonzerts der Gruppe „Junges Polen in der Musik“ um Karol Szymanowski in Warschau und Berlin. Beide Male schloss Würdigung das Erinnern ein, dass sich Polens Musikkultur lange nur im Exil oder unter fremder Herrschaft entwickeln konnte. Die Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung von Künstlern, die Juden waren, die frei dem Weg der Moderne folgen und mitgestalten wollten, deren Werke als „entartet“ galten, blieben weder spur- noch folgenlos. In den Musikzentren Warschau, Berlin, Paris nicht; in Exilländern wie Frankreich, den USA und der Sowjetunion nicht; selbst im Grauen der Konzentrationslager nicht.
Wie sehr sich Berlin und Schreker, Skrjabin und Strauss als Anregungen erweisen und wie programmatische Symbole und die Intonationen polnischer und litauischer Musik eine starke Individualität ausprägen, zeigen die grandiosen Tondichtungen Das Lied vom Falken (1906) von Grzegorz Fitelberg und Nevermore (1911) von Eugeniusz Morawski. Sie erobern der polnischen Musik wichtige Standorte, ihre Schöpfer avancieren zu Schlüsselfiguren des polnischen Musiklebens. Auch zwischen der eleganten Streicher-Serenade (1897) von Mieczyslaw Karlowicz, die auf Mozart weist und Dvor?ák und Tschaikowsky reflektiert, und jenen Werken, die sich im Pariser Exil von der Spätromantik ab- und zum Neo-Klassizismus hinwenden und die in der Radikalität des Concerto (1928) von Jerzy Fitelberg gipfeln, führt der Weg, Eigenes und Fremdes unverwechselbar zu vereinen, zu Erfolgen. Und das Poème für Violine und Orchester, ein „Trauermarsch über eine Mazurka“, in dem sich Simon Laks 1954 komponierend mit Auschwitz auseinandersetzt, und die Hommage à Erasme de Rotterdam, mit der Alexandre Tansman 1968 in niederländischem Auftrag eine europäische Geistesgröße porträtiert, liefern die späten Belege dafür, dass diese Komponisten-Generationen verdient aus dem „Abseits“ befreit wurden.
Eberhard Kneipel