Werke von David Williams, Heitor Villa-Lobos, Isaac Albeniz u. a.

Poesie der Luft

Werke für Klarinette solo, Yulia Drukh (Klarinette)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 01/2024 , Seite 71

Eine mutige Debut-CD mit Werken des 20. und 21. Jahrhunderts für Klarinette solo legt die aus St. Petersburg stammende, inzwischen bei der Neuen Philharmonie Westfalen als stellvertretende Soloklarinettistin engagierte Interpretin Yulia Drukh vor. Ihr Einsatz für die zeitgenössische Musik zeigt sich nicht nur in der Auswahl der aufgenommenen Werke, die von Komponisten abseits der Neue-Musik-Szene stammen, sondern auch in Solostücken, die eigens für Drukh geschrieben und hier erstmals eingespielt wurden. Es sind Kompositionen mit großen spieltechnischen Herausforderungen, die aber nicht von zeitgenössischen Klangmöglichkeiten dominiert werden.
Der Ukrainer Iwan Fedorowich Olenchik lässt in seinem noch eher traditionellen Capriccio Spanische Skizzen Arpeggien und Läufe perlen, erzeugt aber auch eine virtuos beeindruckende imaginäre Zweistimmigkeit und einen leicht resignativen gesanglichen Abschnitt. Der Amerikaner David Williams lässt in And in a Moment von 2021, das er Yulia Drukh gewidmet hat, seine Musik aus einer wiederkehrenden Triller-Bewegung heraus entstehen und gibt der Interpretin vielfach Gelegenheit, ihre souveräne Beherrschung des höchsten Registers zur Geltung zu bringen. Die Dominanz der Arpeggien und die Bindung an die Tonalität kehrt in der Bearbeitung des dritten Präludiums aus den Fünf Präludien für Gitarre des Brasilianers Heitor Villa-Lobos von 1940 zurück. Das Capriccio Nr. 1 des aus Kroatien stammenden Ante Grgin lässt jazzige Rhythmik hören, nimmt aber mehr durch seine eindringliche, sparsame Melodik gefangen.
Die Musiksprache von Igor Drukh, Vater der Klarinettistin, ist in dem Stück Psalm einerseits von jüdischen Gesängen beeinflusst, andererseits wird sie u. a. durch Slaps und Vierteltöne erweitert, die sich organisch in den Geist der Musik einfügen. Vier kurze, im Ausdruck konzentrierte und weniger virtuose Sätze sind unter dem Titel Ephesiaka von Radoslaw Pallarz vereint, der mit seiner Musik an den Geist der Antike erinnern will. John Hawkins aus London hat in Mimes Yulia Drukh ein mit vielen klanglichen Spielarten ausgestattetes und wirkungsvoll verschiedenartige Bewegungsabläufe darstellendes Solostück geschrieben, auf das die überwiegend figurative Variationenfolge Hijazkar Romani auf der Basis einer arabischen Tonart des Italieners Claudio dall’Alberos folgt, in der nur die halsbrecherische Tonrepetitions-Variation Nr. 5 beeindruckt. Eine kurzweilige Jüdische Suite von Evgeni Orkin und ein Rückgriff ins Jahr 1892 mit der Bearbeitung des Satzes Asturias aus der Suite espagnole von Isaac Albéniz schließen die CD ab, die Yulia Drukh als exzellente Virtuosin und eine mit leichtem, schwebendem Ton blasende Klarinettistin mit starker Aussagekraft vorstellt.
Dass ihr künstlerisches Streben über die Musik hinausgeht, zeigen eigene, nachdenkliche Gedichte, die von ihr selbst als Intermezzi zwischen den einzelnen Werken rezitiert werden.
Heribert Haase