Mertens, Gerald

Plädoyer für Künstlerrechte

Gespräch mit Rolf Dünnwald und Tilo Gerlach über ihren Kommentar zum Leistungsschutzrecht des ausübenden Künstlers

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 06/2009 , Seite 36
Der Schutz des ausübenden Künstlers ist nicht in einem besonderen Gesetz niedergelegt, sondern im Urheberrechtsgesetz mit geregelt. Dies hat zur Folge, dass es bisher keinen spezifischen Kommentar des künstlerischen Leistungsschutzes gibt. Der Kommentar von Dünnwald/Gerlach ist der erste, der ausschließlich den künstlerischen Leistungsschutz zum Gegenstand hat und sich folglich mit dieser Materie weiter- und tiefergehend befasst, Stellungnahmen zu allen Streitfragen und aus der Praxis oder der Rechtsprechung bekannt gewordenen Fällen eingeschlossen.

> Herr Dünnwald, Sie waren von 1978 bis 2000 Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL). Gemeinsam mit Tilo Gerlach, Ihrem Nachfolger in der GVL-Geschäftsführung seit 2001, haben Sie jetzt einen Kommentar zum „Schutz des ausübenden Künstlers“, also zu den Paragrafen 73 bis 83 des Urheberrechtsgesetzes, geschrieben. Was waren die Motive für diese neue, auf die Künstlerrechte fokussierte Arbeit?
Unser Anliegen war, den künstlerischen Leistungsschutz in seiner rechtlichen Eigenwertigkeit und Eigenständigkeit bewusst zu machen. Um eine vollständige Darstellung dieses Rechtsgebiets zu erreichen, war die Auslegung der Gesetzesvorschriften mit einer Heranziehung sämtlicher in Frage kommenden Gerichtsurteile und aller einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen zu verbinden und die Praxis des Leistungsschutzes, wie sie sich vor allem in den Tarifverträgen der verschiedenen künstlerischen Bereiche und in der Rechtswahrnehmung der GVL manifestiert, zu berücksichtigen. Die Form des Kommentars ist dem Zweck der Verwendbarkeit als Nachschlagewerk bei der Rechtsanwendung geschuldet, sei es für die Rechtsprechung, sei es im Alltag der künstlerischen Tätigkeit an der Bühne, im Rundfunk, im Fernsehen und bei der Tonträgeroder Filmproduktion.

> Was ist das Neue, das Besondere an diesem Werk, wo ist der Unterschied zu anderen Kommentaren zum Urheberrecht?
Der Schutz des ausübenden Künstlers ist nicht in einem besonderen Gesetz niedergelegt, sondern im Urheberrechtsgesetz mit geregelt. Dies hat zur Folge, dass es bisher keinen spezifischen Kommentar des künstlerischen Leistungsschutzes gibt. Unser Kommentar ist der erste, der ausschließlich den künstlerischen Leistungsschutz zum Gegenstand hat und sich folglich mit dieser Materie weiter- und tiefergehend befasst, Stellungnahmen zu allen Streitfragen und aus der Praxis oder der Rechtsprechung bekannt gewordenen Fällen eingeschlossen. Des Weiteren ist der künstlerische Leistungsschutz im Gesetz nur eines von neun so genannten verwandten Schutzrechten, die sich mit relativ wenigen Vorschriften dem ausführlich geregelten und systematisch durchgestalteten Urheberrecht anschließen. Dies führt bei den Gesamtkommentaren dazu, dass der Schwerpunkt auf dem Urheberrechtsteil liegt und die verwandten Schutzrechte meist nur mit vergleichsweise knappen Erläuterungen „mitlaufen“. Aus Sicht der ausübenden Künstler bleiben bei dieser Art der Mit-Kommentierung viele Wünsche offen. Vor allem fehlte es an einer vertiefenden Analyse, bei der all jene Vorschriften aus dem Urheberrechtsteil, die nach dem Gesetz für den ausübenden Künstler „entsprechend“ gelten sollen, in der genauen Bedeutung ihrer sinngemäßen Anwendung erfasst werden. Diese Lücke wollen wir schließen. Gleiches gilt für die Frage, nach welchen Vorschriften des nationalen und internationalen Rechts sich im Einzelfall der Schutz von Künstlern ausländischer Herkunft in Deutschland bestimmt.

> Wie haben Sie den Kommentar im Einzelnen strukturiert?
Den Hauptteil des Buches bildet die Kommentierung derjenigen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes, in denen die Rechte des ausübenden Künstlers geregelt sind, sowie derjenigen, die aus dem Urheberrechtsteil entsprechend anzuwenden sind. Dabei ist innerhalb der einzelnen Paragrafen grundsätzlich eine Gliederung in vier Abschnitte vorgenommen. Im ersten wird die Bedeutung der betreffenden Vorschrift im Kontext und in der Praxis zusammenfassend dargestellt, im zweiten die Vor- und Entstehungsgeschichte der Norm. Es folgt der Kern der Ausführungen mit dem Abschnitt „Regelungsgehalt“. Diesem schließt sich das Schlusskapitel „Schutz ausländischer Künstler“ an. Eine jeweils an den Anfang gesetzte Übersicht, Randziffern und fett gedruckte Schlüsselwörter sollen die Orientierung und Lesbarkeit erleichtern. Vorangestellt ist dem Kommentarteil eine Einleitung zum Thema „Geschichte und Wesen des künstlerischen Leistungsschutzes“, ferner das Abkürzungs- und das Literaturverzeichnis, nachgestellt ist ihm ein Verzeichnis aller im Buch vorkommenden Gerichtsentscheidungen (nahezu 600) und ein ausführliches Stichwortverzeichnis. Vervollständigt wird das Buch durch den Abdruck aller den künstlerischen Leistungsschutz bestimmenden Rechtsquellen, vom Urheberrechtsgesetz und dessen Ergänzungsgesetze über die einschlägigen EU-Richtlinien und die internationalen Leistungsschutzabkommen bis hin zu den Statuten der GVL und der Institutionen, an denen die GVL zusammen mit anderen Verwertungsgesellschaften beteiligt ist.

> Wie konnten Sie sich auf die Erläuterung weniger Paragrafen beschränken, wo sich doch im Urheberrechtsgesetz zahlreiche Querverweise auf weitere Vorschriften befinden?
Wie schon erwähnt, haben wir unsere Aufgabe gerade nicht darin gesehen, uns wie die anderen Urheberrechtskommentare auf die Erläuterung der Bestimmungen in den Paragrafen 73 bis 83 des Urheberrechtsgesetzes zu beschränken. Hinzu kommen sechzig analog geltende Vorschriften aus dem Urheberrechtsteil und weitere rund zwanzig Paragrafen, die im Abschnitt über Filmwerke, in den gemeinsamen Bestimmungen für Urheberrecht und verwandte Schutzrechte oder in den Übergangs- und Schlussbestimmungen des Gesetzes stehen und speziell oder auch für ausübende Künstler gelten. Ferner haben wir ja die internationalen und europarecht – lichen Bestimmungen zum Leistungsschutz in die Kommentierung einbezogen. Dies erklärt, warum das Buch einen Umfang von 650 Seiten hat. Dem Kohlhammer-Verlag ist dafür zu danken, dass er sich für die spezifische Thematik und die neue Konzeption des Kommentars aufgeschlossen gezeigt hat.

> Durch mehrere Gesetzesreformen hat sich das deutsche Urheberrecht in den vergangenen Jahren stark verändert. Was waren aus Sicht der ausübenden Künstler die wesentlichen Verbesserungen oder auch Einschränkungen? Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf des Gesetzgebers?
Deutliche Verbesserungen haben sich für die ausübenden Künstler bei den Künstlerpersönlichkeitsrechten ergeben. Insbesondere das Namensnennungsrecht ist jetzt gesetzlich geregelt, allerdings steht die umfassende Durchsetzung in der Praxis noch aus. Mit dem „Recht der Zugänglichmachung“ haben auch die ausübenden Künstler ein Verbotsrecht gegen interaktive Online-Nutzungen wie z. B. im Internet erhalten. Handlungsbedarf besteht bei den Regelungen über Filmwerke, bei denen im Interesse der wirtschaftlichen Verwertbarkeit durch die Produzenten die Rechtsposition der ausübenden Künstler – auch der mitwirkenden Musiker – erheblich eingeschränkt sind. Das betrifft sowohl die Persönlichkeitsrechte als auch die Verwertungsrechte, für die in großem Umfang eine Übertragung auf den Produzenten vermutet wird. Unzureichend ist auch die gegenüber dem Urheberrecht deutlich kürzere Schutzfrist (50 Jahre nach Erscheinen der Aufnahme statt 70 Jahre nach Tod des Urhebers), doch deutet sich hier eine positive Entwicklung auf europäischer Ebene an. Auch die gesetz – lichen Schutzmechanismen, die sicherstellen sollen, dass die Künstler an Mehrerlösen durch neue Verwertungen beteiligt werden, bleiben hinter denen der Urheber zurück.

> Die Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten, vorrangig durch Verwertungsgesellschaften, soll ausübenden Künstlern eine angemessene finanzielle Beteiligung an den unter ihrer Mitwirkung entstandenen Aufnahmen bzw. Werke verschaffen. Funktioniert das auch in der Realität?
In der Praxis beschränkt sich die Wahrnehmung von Leistungsschutzrechten durch die GVL auf die Vergütungsansprüche für die so genannte Zweitverwertung, also Massennutzungen, die der Erstverwertung nachfolgen. Geht es um Ausschließlichkeitsrechte wie für CD- oder DVD- Produktionen oder die Konzertübertragung im Rundfunk, ist die GVL nicht involviert. Die Bedingungen werden individual- oder kollektivvertraglich geregelt. Bei einer starken Verhandlungsposition – insbesondere mit starken Gewerkschaften im Hintergrund – führt das zu angemessenen Beteiligungen, bei einer schwachen Verhandlungsposition haben dagegen die vom Gesetzgeber eingeführten Verbesserungen durch Einführung angemessener Vergütungsregeln bisher keine praktischen Erfolge erzielt. Insbesondere für weniger verhandlungsstarke Künstler ohne marktgängiges Repertoire sind die von Verwertungsgesellschaften an sie ausgeschütteten Vergütungen attraktiver, haben diese doch den Vorteil, auch tatsächlich beim Künstler zu landen, da die Abtretung der von der GVL wahrgenommenen Vergütungsansprüche an die Produzenten nach deutschem Recht praktisch nicht möglich ist.

> In der Praxis der Theater und Orchester kommt bei Ton- und Bildtonträgeraufnahmen dem Orchester- bzw. Chorvorstand eine wichtige Rolle bei der Rechteklärung und -übertragung zu. Können Sie diese einmal erläutern?
Da nach deutschem Recht das Leistungsschutzrecht ein individuelles Recht eines jeden Klangkörpermitglieds ist, ist eine Konzentra – tion der Rechtevergabe in einer Hand unerlässlich für die praktische Verwertbarkeit von Aufnahmen. Ansonsten müsste jeder Musiker jeder Auswertung individuell zustimmen. Hier sieht das deutsche Urheberrecht eine ausschließliche Vertretung durch den gewählten Vorstand vor. Das hat neben der Konzentrationswirkung auch den Vorteil, dass einzelne Musiker der Verwertung nicht widersprechen können, es sei denn, sie haben persönlichkeitsrechtliche Gründe. Die Vertretungsregel gilt im Übrigen auch in Bezug auf Altaufnahmen des Klangkörpers, an denen komplett andere Musiker mitgewirkt haben. Anzumerken ist allerdings, dass dieser wichtige Mechanismus nur dann greift, wenn die Verwertungsrechte nicht bereits tarifvertraglich z. B. der Sendeanstalt zustehen. Für diesen Fall müssen Regelungen mit dem Vorstand nicht mehr getroffen werden.

> Wie wird sich in den kommenden Jahren das Leistungsschutzrecht entwickeln, wo liegen neue Herausforderungen? Und wo liegen neue Herausforderungen für die Verwertungsgesellschaften?
Wir sind im Bereich der Komponisten mit einer besorgniserregenden Fragmentierung der Rechtewahrnehmung konfrontiert, wonach bestimmte marktstarke Verlage sich – unterstützt durch die EU-Kommission – entschlossen haben, ihr Repertoire den klassischen Verwertungsgesellschaften zu entziehen und exklusiv zu vermarkten – mit der Folge, dass Verwertungsgesellschaften nicht mehr in der Lage sind, das Weltrepertoire anzubieten. Verwertungsgesellschaften, die als Solidargemeinschaft qua Gesetz bestimmte Umverteilungen vornehmen – Berücksichtigung kulturell wertvoller Leistungen, kulturelle und soziale Förderungen –, befinden sich hier in einem Wettbewerbsnachteil, den die Politik beseitigen muss, wenn das bisherige bewährte System weiter Bestand haben soll. Für die GVL stellt sich dieses Szenario noch nicht so dar, weil die von ihr wahrgenommenen Rechte vielfach als unverzichtbare Vergütungsansprüche gar nicht außerhalb von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden können. Verwertungsgesellschaften sollen natürlich nicht außerhalb des Wettbewerbs stehen, sondern sich als von den Berechtigten geschaffene und kontrollierte Einrichtungen weiterentwickeln, um allen Ansprüchen der Rechteinhaber so zu genügen, dass diese freiwillig in der Verwertungsgesellschaft bleiben. Für die GVL heißt das momentan, die Verteilungsstrukturen technisch und inhaltlich an die Strukturen der ausländischen Schwestergesellschaften anzupassen, um auch zukünftig das Weltrepertoire zu vertreten.

> Vielen Dank für dieses Gespräch.