Piontek, Frank
Plädoyer für einen Zauberer
Richard Wagner: Quellen, Folgen und Figuren
Das Buch, so sehr es vom äußeren Umfang her nach einer Wagner-Monografie aussieht, ist doch nur eine Sammlung von Einzeltexten. Der Verfasser legt seine gesammelten Werke vor: 70 Texte zu Richard Wagner. Das meiste entstammt den Festspielnachrichten, die der Nordbayerische Kurier alljährlich zu den Bayreuther Festspielen herausgibt. Es sind überwiegend Miszellen, nur wenige Texte sind länger als 20 Druckseiten. In der Kürze liegt die Würze, möchte man sagen, und es verhält sich tatsächlich so. Piontek versteht es, auf engem Raum Treffendes zu formulieren, in knapper Form Wesentliches darzustellen. Auch im Inneren sind die Texte überaus unterschiedlich. Die einen nähern sich dem wissenschaftlichen Aufsatz, andere sind das, was man früher Causerien nannte; die Verdi-Wagner-Collage mit der Überschrift Er ist verrückt!!! ist ein kleines Theaterstück.
Im Mittelpunkt steht Wagners Werk, das hier aber nicht nur auf den Bayreuther Kanon vom Fliegenden Holländer bis zum Parsifal beschränkt ist, sondern auch das Früh- und Nebenwerk anhand ausgewählter Beispiele beleuchtet. Das ist nicht genug zu loben, da Wagner-Biografen und -exegeten gern so tun, als gäbe es neben den Bayreuth-Opern nichts anderes. Neben dem Großkapitel Das Werk stehen vier kleinere Sektionen, die mit Wagner-Variationen, Ein König und eini-ge Kollegen, Zusammenhänge und Wilder Westen überschrieben sind. Die erste befasst sich mit Themen wie Wagner liest Dante oder Wagner und die Medientechnik, in der zweiten findet man naturgemäß eine Skizze zu Ludwig II., aber auch Texte über Carl Gottlieb Reißiger oder Franz Kafka als Wagnerianer.
In Zusammenhänge geht es um Beziehungen von Wagners Musik zu Werken anderer Komponisten wie Bruckner, Dvor?ák, Tschaikowsky und Mahler. Die vierte Sektion schließlich reiht Diverses aneinander, hier trifft man auf Wagner im wilden Westen. Sundance Kid als Wagnerianer oder einen Text über Das Junker-Haus in Lemgo. Besonders dieser letztgenannte Text erscheint symptomatisch für Pionteks Umgang mit seinem Thema. Der Text handelt von dem Holzschnitzer Karl Junker (1850-1912), der die wagnersche Vorstellung vom Gesamtkunstwerk in radikaler Weise für sich zu verwirklichen suchte.
Piontek zeigt, dass eine Randerscheinung wie diese erhellendes Licht auf Wagner werfen kann, und der besondere Reiz seines Buchs liegt gerade darin, dass es im Marginalen Wesentliches zu entdecken weiß. Dass es gar nicht erst den Versuch macht, den ganzen Wagner zu erfassen, berührt sympathisch; denn diese Nagelprobe besteht heute niemand mehr, weil die Fülle des Überlieferten für den Einzelnen nicht mehr zu bewältigen ist. Einen schwerwiegenden Mangel hat das Buch jedoch: ihm fehlt ein Register, das man bei einem so gearteten Werk benötigt, nicht zuletzt, um all seine Facetten wahrnehmen zu können.
Egon Voss