Majer, Karl-Ulrich / Hella Preimesberger (Hg.)

Pierre Boulez in Bayreuth

1966-1968, 1970, 1976-1980, 2004-2005. Essays, Gespräche, Dokumente

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Ellwanger, Bayreuth 2005
erschienen in: das Orchester 12/2005 , Seite 70

Anlass zur Entstehung des Buchs gab die nach einem Intervall von vierzig Jahren erfolgte Rückkehr von Pierre Boulez ans Pult des Bayreuther Festspielorchesters. Zwischen 1966 und 1980 dirigierte er 85 Vorstellungen des Ring des Nibelungen und Parsifal. In jener Zeit hatte sich Boulez schriftlich geäußert, die schriftstellerische Auseinandersetzung helfe ihm, seine Ideen zu präzisieren. Und seine Ausführungen sind von hoher Kompetenz. Man spürt die jahrzehntelange Erfahrung als Komponist und Dirigent, und das prägt die Urteilskraft. Er „hört“ die jeweilige Partitur beim Lesen, und eine Probe gleicht für ihn einer Entdeckung; denn die Planung stimmt nicht immer mit der Realität überein.
Die Rückkehr zu Parsifal war für ihn eine Überraschung, weil er sich in Wagners letztem Werk jetzt ganz zu Hause fühlte, „wie in einer alten Jacke“. Die unkonventionelle Regie von Schlingensief hat er in höchst kollegialer Weise akzeptiert. In seinem Beitrag „Divergenzen von Wesen und Werk“ geht er nicht unkritisch an Wagner heran, ja er gewährt einen hochinteressanten Überblick über Werk und Leben, weil beides bei Wagner fast identisch sei. Aber Boulez weist auch darauf hin, dass Wagner in seinen Schriften „selbst die beste Analyse seiner Persönlichkeit“ gäbe. Unter dem Titel „Richard arbeitet“ bringt er eine Ehrenrettung für Cosima Wagner, nicht als Gralshüterin, sondern als korrekte Berichterstatterin in ihren Tagebüchern, wo sie des Öfteren in die Wir-Form fällt, ein Zeichen „totaler Identifizierung“, die sie alles akzeptieren lässt bis zum Antisemitismus und utopischen Sozialismus.
In „Wege zu Parsifal“ bietet Boulez eine historisch-stilistisch-philosophische Einordnung. Da fehlt nicht der Begriff der Zeit, die sich unablässig auf zwei Ebenen bewegt, „wobei die Gegenwart die Vergangenheit einschließt und die Vergangenheit die Gegenwart prägt“. Wichtig auch der Hinweis, dass Parsifal das vorläufige Endergebnis einer Tradition sei, die auf Schütz und Monteverdi zurückgehe, aber auch eine Synthese aus Passion und Oper, aus Bach und dem Mozart der Zauberflöte. Es empfiehlt sich jedem, der sich mit Wagner beschäftigt, die Kommentare und Gedanken zum Ring, die der Autor entwickelt, zu verinnerlichen.
Ergänzt werden die Ausführungen zum Werk durch Charakteristika von Wieland und Wolfgang und durch Briefe, die Boulez mit beiden wechselte. Vervollständigt wird der attraktiv aufgemachte Band durch eine Fülle von Szenenfolgen aus Parsifal und dem Ring, Aufführungen, in denen Boulez am Pult stand, sowie Hinweisen zu seinen Bayreuther Dirigaten und den Abbildungen.
Ingrid Hermann