Werke von Levente Gyöngyösi, Gert Wilden, Franco Donatoni und anderen
Piccolo Works
Natalie Schwaabe (Piccolo und Flöte), Jan Philip Schulze (Klavier)
Über Bratschisten kursieren zahllose Witze. Die sind nicht immer schmeichelhaft, aber: Die Piccoloflöte kommt weitaus schlechter weg. Nicht selten wird das Instrument als AK-47 des Sinfonieorchesters bezeichnet, eine Kalaschnikow. Oder als kreischender Ast.
Dass die Piccoloflöte ganz im Gegenteil zu nuancenreichen Farbgebungen und Ausdrücken fähig ist, zeigt die CD von Natalie Schwaabe. Es ist absolut hörenswert, welche kunstvollen Differenzierungen die Flötistin dem Instrument zu entlocken vermag. Selbst in der Sonate des 1975 geborenen Ungarn Levente Gyöngyösi aus dem Jahr 2007, die im ersten und letzten Satz vielfach das höchste Register betont, überdies staccatoreich und markant, klingt nichts schrill oder grell. Alles ist gesanglich gestaltet.
Seit 1996 wirkt Schwaabe im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Zuvor startete sie ihre Orchesterlaufbahn 1991 als Soloflötistin bei den Münchner Symphonikern, bis sie 1993 zum Münchner Rundfunkorchester (MRO) wechselte. Dabei hat sie sich gerade auch um die zeitgenössische Musik verdient gemacht, weshalb Schwaabe von Hans Werner Henze sowohl zu seinem Festival in Montepulciano eingeladen wurde als auch zur Münchener Biennale für neues Musiktheater.
Auch auf dieser CD pflegt sie mit dem Pianisten Jan Philip Schulze die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Mit Franco Donatoni ist ein Großmeister der Moderne vertreten, wobei dessen solistische Nidi: Due pezzi zwischen stiller Reduktion und raffinierter Klangaktion changiert.
Bemerkenswert auch das Two and a half piece des 1954 geborenen Gert Wilden: Zu Beginn und am Ende spielt die Piccoloflöte in den Korpus des Flügels, was unerhörte Nachhallwirkungen erzeugt. Während Gyöngyösi der Bartók-Kodály-Folklore nachspürt, interessiert sich Mike Mower, bekannt auch als Arrangeur der Big Bands der BBC und des NDR, für die Verbindung von Jazzhaftem und Neoklassizismus: ähnlich wie Bohuslav Martinu. Auch literarische Reflexionen sind vertreten. So fußt Huit ilium des Norwegers Jan Erik Mikalsen auf dem Anti-Kriegsroman Slaughterhouse-Five or Childrens Crusade von 1969: ein ausdrucksgewaltiges, höchst intensives Solostück.
Dagegen hat MRO-Solohornist Franz Kanefzky 2008 für Schwaabe den Rattenfänger von Hameln zu
einem Instrumentalspiel mit Rezitation verarbeitet: bestens geeignet auch für Familien mit Kindern oder Senioren. Zwei Jahre zuvor hat Derek Charke, Jahrgang 1974, das Lachrymosa für Solo-Piccolo geschaffen, eine Würdigung zum Mozart-Jahr 2006, zumal das Werk auf dessen unvollendetes Requiem anspielt. Ähnlich wie das Lachrymosa Mozarts jäh abbricht, verliert sich das Spiel zusehends in endlosen Dreiklängen. Wie im Rattenfänger wird überdies auch hier die Stimme eingesetzt. Unterm Spiel summt die Flötistin, ein weltentrückt lichter Abschluss einer durchwegs spannenden CD.
Marco Frei