Schostakowitsch, Dmitri / Paul Juon

Piano Trios / Piano Trio/Trio Miniaturen

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello COV 50502
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 95

In der russischen Musikgeschichte entwickelte sich im 19. Jahrhundert bei Komponisten der Brauch, zur Ehrung großer Toter ein Klaviertrio zu schreiben. Tschaikowsky widmete sein a-Moll-Klaviertrio der Erinnerung an Nikolaj Rubinstein, Tschaikowskys Ableben wiederum veranlasste Sergej Rachmaninow zu seinem op. 9, dem Trio élégiaque, geschrieben „Zum Gedenken an einen großen Künstler“. Dmitri Schostakowitsch reihte sich in diese Tradition ein, als er im Jahr 1944 zum Gedächtnis seines verstorbenen Freundes, des Musikologen Iwan Sollertinsky, sein e-Moll-Trio op. 67 schuf.
In vielen Konzerten und Einspielungen erscheint dieses op. 67 als ein bis zum Bersten expressives Werk, in dem private Trauer und die bedrängten Lebensumstände der Entstehungszeit im Zweiten Weltkrieg gleichermaßen vergegenwärtigt werden. Das Trio Paian mit Carl-Magnus Helling (Violine), Marin Smesnoi (Violoncello) und Alexandra Neumann (Klavier) setzt demgegenüber auf mehr Distanz. Schmerzvolles Aufbegehren, manisches Insichkreisen und Zustände der Depression werden weniger ausgelebt denn aus der Erinnerung zitiert. Schostakowitschs Trio wird in ihrer Interpretation zum instrumentalen Requiem, in dem Trauer wohl Ausdruck findet, doch zugleich überpersönlich objektiviert erscheint.
Nur zweimal wandte Schostakowitsch sich in seinem Schaffen der Klaviertrio-Besetzung zu. Vorangegangen war dem e-Moll-Werk das einsätzig-mehrteilige op. 8, das der 17-Jährige 1923 etwa zeitgleich mit der ersten Sinfonie komponierte. Spannend ist es, in dieser frühen Komposition schon Schostakowitschs persönliche Handschrift zu vernehmen, wenn ihr auch noch jene Züge der Desillusionierung fehlen, wie sie ihr durch die Erfahrungen des Komponisten mit dem Stalin’schen Terror zuwuchsen. Das Trio Paian stellt noch geradezu romantische Züge von Schostakowitschs Frühwerk heraus: mit breit entfalteten Gesangslinien über ruhig pulsierender Klavierbegleitung.
Die eigentliche Repertoire-Rarität auf dieser CD-Neuveröffentlichung in Super-Audio-Technik bilden zwei Werke von Paul Juon. Juon, schweizerischer Abstammung, aber 1872 in Moskau geboren und später lange Jahre in Berlin tätig, gehört zu den Komponisten, deren Musik sich zwischen Vergangenheit und Moderne stilistisch schwer einordnen lässt und deswegen in eine Randstellung im Konzertleben gedrängt wurde. Sowohl seine hübschen Trio Miniaturen, kurze, ursprünglich für Klavier allein bestimmte Charakterstücke, als auch sein dreisätziges Klaviertrio op. 17 weisen eher ins 19. Jahrhundert zurück. Slawisch-schwermütig wirkt dessen Beginn, wie von russischer Folklore inspiriert, und lässt das Trio Paian bei seiner Einspielung einen üppigen, schwärmerischen Klang entwickeln, der sich im folgenden Adagio noch intensiviert. Und im abschließenden Rondo vernimmt man einen fast Brahms’schen Ton, in eigenwilliger Mischung aus Grazie und Schwere, Beschwingtheit und Massivität.
Gerhard Dietel