Beethoven, Ludwig van
Piano Concerto No. 3
Six Cadenzas: Beethoven, Moscheles/Brahms, Alkan, Schulhoff, Ullmann, Rische
Wie viele Kadenzen zum dritten Klavierkonzert von Beethoven bis zur Stunde gespielt worden sind, ist gewiss nicht zu ermessen, da viele wohl im Augenblick improvisiert bzw. nicht niedergeschrieben wurden. Überliefert sind über 20 Versionen, wobei im heutigen Konzertleben meistens Beethovens eigene gespielt wird. Diese Entscheidung verheißt die größtmögliche Authentizität und stilistische Einheit.
Doch das sind Kriterien, die erst im Laufe der Aufführungsgeschichte bedeutsam geworden sind. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die Kadenz gerne auch als Gelegenheit genutzt, Beethovens motivisches und thematisches Material mit dem Stilideal der eigenen Zeit zu beleuchten. Wie das klingen kann, belegt eine aufschlussreiche und spannende Neuaufnahme des Werks mit dem Pianisten Michael Rische und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Leitung des Aachener Generalmusikdirektors Marcus Bosch. Hier werden gleich sechs verschiedene Kadenzen zur Auswahl angeboten. Auch der Übergang in die Coda und diese selbst werden sechs Mal gespielt. Rische variiert den Moment des Wiedereintritts des Orchesters dabei je nach Verfassung der betreffenden Kadenz. Der Komponist lasse, so der Pianist in seinem sehr instruktiven Text im Booklet, den Solisten in der Kadenz aufs Neue mit den alten Baustellen spielen.
Wie Beethoven selbst das macht, ist einschlägig bekannt. Ignaz Moscheles tut es in der lange Zeit Brahms zugeschriebenen Kadenz mit der Pranke des romantischen Virtuosen. In seiner ausgedehnten Kadenz geht Charles Valentin Alkan weit über das Material des Konzerts hinaus und zitiert Motive aus Beethovens fünfter Symphonie. Das ist mehr eine Paraphrase über Beethoven in c-Moll als eine Konzertkadenz.
In die Grenzbereiche der spätromantischen Harmonie führt die Kadenz von Erwin Schulhoff, während Viktor Ullmanns durch ihre Klarheit und ihr inniges Bekenntnis zu Beethovens Thematik ausgezeichnet ist. Michael Rische selbst greift Mittel der Avantgarde auf, sucht die direkte Verbindung zur Gegenwart.
Sein Spiel ist in allen sechs Kadenzen deutlich strukturiert und ausdrucksvoll akzentuiert. Das gilt auch für seine Interpretation des eigentlichen Konzerts, die klare Konturen und einen weit gespannten Ausdrucksradius hat. Rische überzeugt durch schlüssige Disposition und einen überlegenen Blick auf Beethovens Partitur, was einen optimalen Rahmen für alle sechs Kadenzen abgibt. Innig und feingliedrig spielt er das Largo, impulsiv und feurig das Finale. Die C-Dur-Coda hat Brillanz und mitreißenden Elan. Nicht nur hier überzeugt das
energiegeladene und transparente Spiel des DSO unter Marcus Bosch, der einen elastischen und rhythmisch prägnanten Beethoven dirigiert.
Karl Georg Berg