Othegraven, August von
Phantasie
Quartett für Violine, Bratsche, Cello und Klavier, Partitur und Stimmen
Als Komponist hauptsächlich von Männerchorliedern, als Bearbeiter von Volksliedern und als königlicher Professor am Konservatorium bzw. an der Musikhochschule in Köln ist August von Othegraven kein Unbekannter. Insbesondere Sängern ist der 1946 verstorbene Komponist wegen der Othegraven-Plakette, welche für besondere Leistungen auf dem Gebiet des Gesangs verliehen wird, bis heute im Gedächtnis. Der Blick ins Werkverzeichnis von Bert Voss offenbart jedoch Othegravens große musikalische Flexibilität: So komponierte er u.a. Opern, Werke für großes Orchester, hauptsächlich mit Chor, zahlreiche Kantaten und verfasste auch einige Beiträge über das Volkslied. Leider sind viele seiner Werke durch Kriegseinwirkungen für immer verloren.
Erst vor kurzem wurde zufällig in Bad Kohlgrub bei Garmisch-Partenkirchen, wo sich von Othegraven öfter aufgehalten hatte, ein zweisätziges Werk für Violine, Bratsche, Violoncello und Klavier entdeckt, das den Titel Phantasie trug. Die Partiturabschrift trägt das Datum des 10. Juli 1891, die Stimmen weisen Gebrauchsspuren und Korrekturen auf, die vermutlich von einem gemeinsamen Spiel zeugen.
Der erste Satz, überschrieben mit sehr langsam, folgt nicht der nach und nach in dieser Zeit aussterbenden Sonatensatzform, sondern ist dreiteilig mit lebhaftem Mittelteil und einer fast verklärend-kontemplativen, noch langsamer zu spielenden Coda. Ein eingängiges Thema, eingebettet in e-Moll, das zu Beginn die Bratsche vorstellt, durchzieht wie ein roter Faden den gesamten Satz. Mit 216 Takten und etwa 16 Minuten Dauer besitzt er romantische Längen. Ein kräftiges und markantes, aber ungewöhnliches Recitativ für Klavier solo steht dem letzten Satz voran. Dieser ist das genaue Gegenteil des Eingangssatzes: Ziemlich schnell, mit Kraft und Feuer überschrieben, mit einigen kurzen ritardierenden, gedanklich innehaltenden Takten. Danach stürmt das Klavier weiter, die Streicher folgen nach und nach, ohne aber in ein strenges Fugato zu verfallen. Zum Schluss zu beschleunigt der etwa zehnminütige Satz weiter, um dann in einer Art Apotheose sehr breit und wuchtig im fortissimo fast orchestermäßig auf dem Ton e zu enden.
August von Othegravens Stil ist insgesamt recht eigenwillig, eine spätromantische Mischung aus Johannes Brahms und dem mittleren Richard Strauss, mit dem von Othegraven das Geburtsjahr teilt. Inwieweit seine Kompositionslehrer Ferdinand Hiller und Joseph Rheinberger noch Einfluss auf diese Komposition genommen hatten, lässt sich schwer sagen. Insgesamt dennoch ein nicht uninteressantes kammermusikalisches Werk, das der Kölner Verlag Tonger hier vorlegt.
Druck und Layout sind sauber und gestochen scharf, jedoch könnte das Format etwas größer als DIN A 4 ausfallen, wenn auch die Herstellung dadurch etwas teurer sein würde.
Werner Bodendorff