Strawinsky, Igor
Perséphone
Live recording 1960
Fritz Wunderlich, der Jahrhundert-Tenor im September 2010 wäre er achtzig Jahre alt geworden, und noch immer tauchen bislang unveröffentlichte, wertvolle Dokumente seiner unvergleichlichen Gesangskunst auf. Dazu zählt etwa ein Livemitschnitt von Mahlers Lied von der Erde unter Josef Krips aus Wien (Deutsche Grammophon) sowie alle möglichen Aufnahmen aus Rundfunkarchiven.
Einen besonderen Stellenwert erhält zweifelsohne die vorliegende Aufzeichnung eines Konzerts mit Strawinskys Melodrama Perséphone, das am 11. November 1960 in Frankfurt stattfand. Und dies gleich in mehrfacher Hinsicht: Zum einen sang Wunderlich die Tenorpartie dieses Werks nur dieses eine Mal, zum anderen zählt Perséphone bis zum heutigen Tag zu den realtiv unbekannten und selten gespielten Kompositionen Strawinskys. Hinzu kommt, dass von Fritz Wunderlich als Interpret zeitgenössischer Musik nur sehr wenige Tondokumente vorliegen obwohl er sich Zeit seiner Karriere sehr für sie einsetzte , und zu guter Letzt ist auch Dean Dixon, der erste schwarze Chefdirigent eines deutschen Orchesters, heute im Bewusstsein der Öffentlichkeit kaum noch präsent. Als die Aufführung der Perséphone stattfand, war bereits entschieden, dass Dixon das Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks leiten sollte was er dann ab 1961 immerhin 13 Jahre lang tat.
Die Tenorpartie der Perséphone ist wie geschaffen für Wunderlichs helle, klare, lyrische Stimme ein treffender Zufall, dass der Name dieser Rolle, Eumolpius, auf Deutsch so viel bedeutet wie der schön Singende. In seinem 1934 uraufgeführten Melodrama nach einem Text von André Gide hatte Strawinsky seine Tonsprache von allen Barbarismen und klanglichen Härten gereinigt; Ergebnis ist ein fast durchgehend ruhiges, beinahe pastellfarbenes Werk von großer innerer Gelassenheit. Der Mangel an Kontrasten könnte in einigen Passagen zur Langatmigkeit führen eine Gefahr, die in der vorliegenden Aufführung durch die exzeptionelle Qualität aller Beteiligten gebannt ist. Wunderlich zeigt sich mit optimaler Textverständlichkeit, sensibler Stimmführung und klanglichem Schmelz auf der Höhe seiner Kunst.
Als seine Partnerin in der Rolle der Perséphone agiert die Schauspielerin Doris Schade. Strawinsky hatte diese Partie als Sprechrolle für Ida Rubinstein konzipiert. Dass sich Dean Dixon für eine deutsche Fassung des Werks entschied, macht Sinn vor allem, wenn der Text mit solch packender Emphase gestaltet wird wie von Schade. Heute würde man in dieser Partie vielleicht andere Töne anschlagen zurückhaltendere, weniger theatralische , doch als Dokument ist die Zusammenarbeit von Wunderlich, Schade und Dixon von großer Faszination. Bleibt abschließend zu erwähnen, dass die Tontechnik wahre Wunderdinge geleistet hat: Die 50 Jahre merkt man der Aufnahme nicht an, und dass das Orchester etwas im Hintergrund agiert, ist angesichts der ohnehin vorhandenen Dominanz der Gesangs- und Sprechtexte zu verschmerzen.
Thomas Schulz