Pécou, Thierry

Perroquets d’Azur

pour hautbois seul

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 12/2013 , Seite 73

Perroquets d‘azur wurde – so verrät es das Vorwort des Komponisten Thierry Pécou, 1965 in Boulogne-Billancourt geboren – für den Oboisten Francois Leleux geschrieben, der es 1996 uraufführte. Das Vorwort spricht von „polyphone(r) Struktur“, die „auf ein einstimmiges Instrument“ übertragen werden soll. Rund sechs Minuten soll es dauern, afro-kubanische Folklore soll es auch enthalten – das liest sich durchaus spannend. Ist es vielleicht gar ein Solowerk, das Möglichkeiten bietet zu zeigen, was man kann, musikalisch interessant ist und dabei Spaß macht?
Die Notation ist auf allen vier Seiten konventionell. Ab und zu zeigen nach oben oder unten gerichtete Notenhälse deutlich die gewünschte Mehrstimmigkeit an. Da die Oboe, außer bei Multiphonics, immer nur
einen Ton zur selben Zeit spielen kann, muss der Oboist hier mit deutlich differenzierten Klangfarben, Betonungen und Dynamik arbeiten, um die vermeintliche Polyfonie anzudeuten.
Einem kurzen, etwas dramatischen Intro („Moderato“), dessen Dynamik vom Pianissimo bis zum Fortissimo reicht, das mit einer Quarte beginnt, mit Fermaten versehen ist und auch rhythmisch etwas zu bieten hat, folgt nahtlos ein Vivace. Technisch vertrackt, sich stetig in der Intensität steigernd und munter zwischen 2/4- und 5/8-Takt hin- und her springend, schmiegen sich kleine melodische Bauteile aneinander. „Più vivo“ heißt es dann, beginnt leise, und ein paar Vorschläge verzieren die kleinen Figuren. Das ist technisch anspruchsvoll für den Oboisten und unterhaltsam für den Zuhörer.
Das „Lento“ weist längere Phrasen auf, die durch angedeutete Zweistimmigkeit und ein paar Sprünge sowie außereuropäisch wirkende Rhythmen belebt werden, und wird zum „Meno mosso“ mit langen zweistimmigen Passagen. Wie ein Dialog wirken sie, ein bisschen gewollte, virtuose musikalische Schizophrenie ergibt sich zwangsläufig. Bis fast zum Schluss bleibt dieses einsame Zwiegespräch leise, Vorschläge und Akzente beleben es und erhöhen die technischen Ansprüche. Ein über sieben Takte gehendes Crescendo kurz vor dem Ende bringt weitere Spannung, deutet einen Höhepunkt an. Eine Viertelpause (lange Notenwerte gibt es in diesem Stück nicht) vor zwei sehr kurzen Phrasen am Ende betont diesen, macht die Ohren bereit für etwas Neues. Mit etwas längeren Tönen und
einer halben Note mit Fermate als Schlusston bringen sie einen Endpunkt. Sie beginnen sehr leise und fordern kurze, kräftige Crescendi wie in sich steigernden lauten Ausrufen. Wie um zu sagen: So, jetzt ist’s wirklich aus, kommt ganz am Ende ein Sechzehntel-Es daher, laut und in tiefer Lage.
Das ist Neue Musik mit etwas bunterem, folkloristischem Charakter, technisch sehr anspruchsvoll – schön auf die Oboe zugeschnitten.
Heike Eickhoff