Leyendecker, Ulrich
Pensées sur un prélude
Debussy-Variationen für Orchester, Partitur
Im kompositorischen Schaffen der vergangenen drei Jahrzehnte spielt der Umgang und die Auseinandersetzung mit Formen, Gattungen und Stilelementen der Vergangenheit eine wichtige Rolle. Vielen der heute führenden Komponisten ist es hierbei gelungen, eine schöpferische und oft innovative Brücke zu schlagen zu traditionellen Klang- und Ausdrucksmitteln und damit zugleich die Distanz zwischen den Produktionen der neuen Musik und einem breiteren Publikum zu überwinden, die namentlich nach 1950 zunächst immer größer zu werden drohte.
Ulrich Leyendeckers Pensées sur un prélude, ein Auftragswerk der Musikalischen Akademie Mannheim, das im Januar 2002 durch das Nationaltheater-Orchester Mannheim unter der Leitung von Adam Fischer uraufgeführt wurde, reiht sich auf originelle und reizvolle Weise in diese Bestrebungen ein. Der 1946 geborene Komponist lehrte lange Zeit in Hamburg und ist seit elf Jahren Professor für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Heidelberg-Mannheim. Sein uvre umfasst Werke aller Gattungen mit einem Schwerpunkt auf dem Gebiet der Kammer- und der Orchestermusik (darunter mehrere Solokonzerte und fünf Sinfonien).
Die Pensées sur un prélude mit dem Untertitel Debussy-Variationen für Orchester sind zweiteilig angelegt und orientieren sich am Vorbild Thema und Variationen, das allerdings eigenständig im Sinne von Gedanken über
(Pensées sur
) abgewandelt wird. Zudem vermerkt der Komponist in der Partitur, dass der zweite Teil auch allein aufgeführt werden kann.
Der erste Teil gewissermaßen das Thema ist eine hellhörig sensible Orchestrierung des Klavierstücks
Des pas sur la neige (Schritte im Schnee) aus dem ersten Band der Préludes von Claude Debussy, eine exzellente Instrumentationsstudie, die das Original außer in einem Takt Ton für Ton in eine Klangsprache überträgt, die seine geheimnisvoll zarte Atmosphäre vollständig bewahrt.
Der zweite, längere Teil entwickelt aus Kerngedanken des Préludes klangliche und melodische Mikrostrukturen, die sich teilweise eng an das Original anlehnen, teilweise sich behutsam von ihm entfernen, doch selbst dort, wo sie sich zu einem stärkeren Ausbruch zusammenballen, dem Geist des Impressionismus verpflichtet bleiben. Andererseits lässt dieser zweite Teil die eigentlichen Pensées vom ersten Akkord an ein charakteristisch
eigenes Idiom erkennen. Wie durch einen Schleier hindurch wird Debussys Klavierminiatur zugleich zitiert und verändert, evoziert und umgebrochen. Als Musik über Musik erwächst aus den Gedanken eines Späteren eine faszinierende Huldigung und Interpretation.
Der Sikorski-Verlag hat einen sorgfältig erstellten Druck des Werks vorgelegt, der klar und übersichtlich angeordnet als Dirigier-Partitur für Aufführungen ebenso wie für ein interessier-
tes Mitlesen beim Anhören der Komposition vorzüglich geeignet ist.
Peter Schnaus