Zapke, Susana / Stefan Schmidl (Hg.)

Partituren der Städte

Urbanes Bewusstsein und mikalischer Ausdruck

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Transcript, Bielefeld 2015
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 69

Seit einigen Jahren wird nicht nur versucht, der „Stadt als akustisches Phänomen“  Aufmerksamkeit zu verschaffen, sondern auch sie als ein musikalisches Forschungsgebiet womöglich akademisch zu etablieren. Dann ist übertrieben anspruchsvoll mit besonderer Begrifflichkeit die Rede von einem „Erforschen urbaner Klangumgebung“, von „Stadt-Partituren“ und „Musik-Kartographien“, und zwischen Musik, Klang und Geräusch werden abermals kategoriale Unterschiede nivelliert, wie sie seit dem italienischen Futurismus im Kontext der musikalischen Avantgarde immer wieder zur Diskussion gestellt wurden. Das komplementäre Phänomen wachsender Lärmbelästigung in den großen Städten, das geradezu zu einer „antrainierten Taubheit“ führen kann, wird dabei selbstverständlich regelmäßig vernachlässigt.
Freilich rückt in den vorliegenden Studien weniger die Stadt als ein „sonorer Klangkörper“ in den Mittelpunkt, obwohl Susana Zapke und Stefan Schmidl in ihrer Einführung solch ein  Forschungsprogramm abzustecken scheinen, als vielmehr, recht konventionell, spezifische Musikkulturen, die sich historisch in musikalischen Zentren wie etwa Neapel, Wien, Venedig oder Prag usw. herausgebildet haben und durchaus im Sinne regionaler Musikgeschichtsschreibung porträtiert werden. Guido Erdmann beschreibt die Musik-Institutionen im Neapel zur Zeit des Barock, Erich Wolfgang Partsch führt Werke von Johann Strauß, Mendelssohn, Liszt, Nono und Mahler (als Filmmusik im Film Tod in Venedig) an, die sich auf Venedig beziehen, Michael Hüttler macht auf Opernlibretti aufmerksam, die in Istanbul spielen. Die Kompositionen Aaron Coplands, die den Begriff „City“ im Werktitel führen – gemeint ist fast immer New York –, stellt Timothy D. Freeze zusammen, während Srdan Atanasovski beschreibt, wie sich der musikalische „Sozialistische Realismus“ in der sinfonischen Dichtung Beograd (1951) von Dragotin Gostuški zur „gemäßigten Moderne“ verwandelt. Richard Kurdiovsky wendet sich der Gestaltung von Schallplatten- und CD-Hüllen mit Abbildungen von Prag im Sinne der „Wahrnehmung von Stadtbildern für den Musikmarkt“ zu, während Susana Zapke das historisierend-verklärende Porträt von Wien als der Stadt der Musik skizziert, wie es in den Wiederaufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt für touristische Werbezwecke entworfen und eingesetzt wurde.
Die Auswahl solcher Themen und ihre doch recht unattraktive Ausarbeitung in den Beiträgen wirken sicherlich willkürlich, doch wird durchaus spürbar, dass man mit der „Stadt“ einem Thema auf der Spur ist, das sich als vielversprechend erweisen könnte, wenn Unterschiede zur traditionellen Musikgeschichtsschreibung und ihren bevorzugten Gegenständen schärfer konturiert würden.
Giselher Schubert