Barenboim, Daniel / Edward W. Said

Parallelen und Paradoxien

Über Musik und Gesellschaft

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Berlin Verlag, Berlin 2004
erschienen in: das Orchester 09/2004 , Seite 79

Die Freundschaft zwischen dem Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim und dem Schriftsteller und Intellektuellen Edward W. Said (gestorben am 25. September 2003) währte seit Anfang der 90er Jahre. Zwischen 1995 und 2000 haben sich die beiden zu mehreren öffentlichen Gesprächen zusammengefunden. Das Osloer Friedensabkommen war dabei ebenso von Interesse wie Themen, die mit den Berufen der Gesprächspartner zu tun haben.
Auf den ersten Blick wirkt es so, als seien die beiden Männer sehr verschieden, was sich nicht zuletzt in der wiederholten Nennung zweier sehr unterschiedlicher Leitfiguren spiegelt: Adorno einerseits und Wagner andererseits. Auch die Biografien sind divergent. Barenboim wuchs als Kind russisch-jüdischer Einwanderer im argentinischen Buenos Aires und später in Tel Aviv auf, bevor er als Pianist und Dirigent die wichtigsten Konzert- und Opernhäuser der Welt eroberte. Said dagegen wurde in Jerusalem als Kind palästinensischer Eltern in eine islamische Welt hineingeboren. Er lehrte in den USA Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft. Unter seinen preisgekrönten Werken sind besonders Orientalismus sowie Power, Politics and Culture hervorzuheben. Zuletzt erschienen die Autobiografie Am falschen Ort (2000) und Das Ende des Friedensprozesses (2002).
Erstaunlich bei derart unterschiedlichen Lebensentwürfen ist der offenkundige Konsens der beiden Männer – Adorno hin, Wagner her. Statt „Paradoxien“ gibt es vielmehr „Parallelen“ zu bestaunen. Und so entfallen heftige Debatten sogar dort, wo es um den Friedensprozess geht, der diesen Namen derzeit gar nicht verdient. Oder über die „Unzugänglichkeit der Moderne“, die dieses Vorurteil wohl auch in tausend Jahren nicht abstreifen kann. Meist sind sich die beiden Diskutanten einig. Doch hätte ein wenig Zunder gar nicht geschadet, denn die Wechselrede vermittelt doch sehr den Eindruck eines braven Kamingesprächs.
Dabei gilt gerade Barenboim als streitbarer Geist, der in der Vergangenheit nicht nur für glänzende Musik, sondern für viel Diskussionsstoff gesorgt hat. Etwa als er im Jahr 1999 zum 250. Geburtstag von Goethe israelische und arabische Musiker zusammengeführt hat, um mit ihnen in Weimar und später in anderen Teilen der Welt ein gemeinsames Konzert-Programm aufzuführen. Spätestens aber mit seinem kolossalen Tabubruch, der Erstaufführung von Wagners Musik in Israel am 7. Juli 2001, hat er seinen Ruf als Querulant verfestigt.
Spannend ist das Buch dort, wo Barenboim über Beethovens Musik spricht oder seine Entdeckung durch Wilhelm Furtwängler, der dem Elfjährigen das Tor zur Musikwelt weit aufgestoßen hat. Es wird anschaulich, dass Barenboim seinem Mentor auch musikalisch viel zu verdanken hat, etwa weil er ebenfalls die Partituren extrem dynamisiert oder von irritierenden Tempowechseln Gebrauch macht, für die Furtwängler berühmt war.
Die brillanten Passagen des Buchs drehen sich allerdings um Richard Wagner. Es ist schon beeindruckend, mit welcher Kunstfertigkeit Barenboim den „Judenhasser“ Wagner seziert. Dabei trennt er bewusst zwischen dem in seinen Werken keinesfalls antisemitischen Komponisten, dem Librettisten, dem Autor zu künstlerischen Fragen und dem offenkundig antisemitischen politischen Autor. Barenboim verhehlt nicht, dass das Meistersinger-Vorspiel als Gaskammer-Musik diente und er Wagner als Person mehr als anrüchig findet. Und doch erkennt Barenboim an, dass Wagner für die abendländische Musik von zentraler Bedeutung ist, ein Komponist, der wunderbare Musik geschaffen hat, die bei aller Deutschtümelei nichts für die spätere Inanspruchnahme durch die Nazis kann.
Leider ist das Buch nicht an allen Stellen derart nahe am Gegenstand. Schlimm wird es, wo das brave Kamingeplauder zum Stammtischgespräch ausartet. Dabei wird nicht nur darüber gejammert, ach wie sehr doch die zeitgenössische Musik im Gegensatz zu Mozart und Haydn ihren „Gebrauchswert“ verloren habe – was auch immer das sein könnte in der Nachfolge brechtscher Poetik. Sondern vielmehr auch über den angeblich zu bedauernden und gerade von Said gegeißelten Missstand, dass die zeitgenössische Musik nun mal so schrecklich „modern“ sei, was so viel heißt wie schwer verständlich, untauglich im Alltag.
Saids Kulturpessimismus ist unproduktiv. Man ist an dieser Stelle doch ganz froh, dass Said nicht über zeitgenössische Komponisten wie John Zorn oder Heiner Goebbels vom Leder zieht – oder sich gar über den minimalen „Gebrauchswert“ ihrer Kompositionen echauffiert. Immerhin, wem das Buch zu altvorder scheint, der hat ja das Glück, dass Barenboim meisterhaft Klavier spielt und wunderbar dirigiert.
 
Jonathan Scheiner

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