Zemlinsky, Alexander/Igor Markevitch/Erich Wolfgang Korngold/Ernest Bloch

Paradisi Gloria: Psalms

Geistliche Musik

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler PH04036
erschienen in: das Orchester 03/2005 , Seite 85

Ist diese Rezension ein Nachruf? Kaum legt das Münchner Rundfunkorchester eine erste Probe seines Profilierungsbestrebens vor, wird es vom eigenen Intendanten zur Disposition gestellt. Eine nach dem Hören dieser CD noch weniger verständliche Entscheidung! Im „Heiligen Jahr“ 2000 hatte das Orchester die Konzertreihe „Paradisi Gloria“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, geistliche Musik des 20. Jahrhunderts in hoher Qualität zu präsentieren. Denn obwohl der musikalische Mainstream dem Geistlichen nicht gerade zugewandt war, sind in diesen hundert Jahren doch eine Menge hervorragender Kompositionen entstanden. Sie finden jedoch vor den Ohren eines eventhungrigen Publikums weder in unseren Kirchen noch in den Konzertsälen ihre „Quote“ – ihre Aufführung entspricht also genau dem Auftrag eines Rundfunk-Klangkörpers.
Die CD enthält vier Vertonungen von Psalmtexten für Solisten und/ oder Chor und Orchester aus der Feder jüdischer oder jüdischstämmiger Komponisten. Alexander Zemlinskys 13. Psalm von 1935 wurde, aus den leidlich bekannten Gründen, erst 1971 uraufgeführt. Seine spätromantische Düsternis erinnert ebenso an Reger wie die befreienden Schneisen, die die Musik bisweilen ins Gestrüpp der Harmonik schlägt. Die unheilvolle Chromatik der Musik löst sich am Ende auf in ein orgiastisches Klangbad.
Psaume – Tehillim für Sopran und Orchester schrieb Igor Markevitch 1931 in französischer Sprache: rhythmisch betonte, bisweilen markant schrille Musik mit einem intimen Dialog zwischen Flöte und Solistin (Elena Prokina) im Zentrum und einem hämmernd gewisshaften Ende. Dagegen beginnt Erich Wolfgang Korngolds englischsprachiger Passover Psalm op. 30, ein Auftragswerk des Oberrabbiners von Los Angeles, in Brahms’schem Alt-Rhapsodie-Duktus und schließt hymnisch, gewürzt mit einer Prise orthodoxer Chormystik, ausdrucksvollem Sopran-Solo (Emily Magee) und zielsicher auf Wirkung gerichteten Klangfarben (Glockenspiel, Solo-Violine, Orgel).
Am jüdischen Kantorengesang (mit großer Würde: Vincent Le Texier) orientiert sich schließlich Ernest Blochs Psalm 22 (wieder in französischer Sprache). Das Stück beginnt wie der Fliegende Holländer, findet aber rasch folkloristische Bahnen, die sich mit der farbigen Klangwelt des großen sinfonischen Apparats verbinden (es ist nicht, wie angegeben, die Kammerorchester-Version eingespielt!).
Der Rundfunkchor Berlin (Zemlinsky) und der Chor des Bayerischen Rundfunks (Korngold) wirken klangstark mit, in die Dirigate teilen sich Peter Ruzicka, Peter Rundel und Marcello Viotti. Dem Zugewinn an Repertoire und musikalischer Qualität entgegen steht lediglich das äußerst dürftige Booklet: Auf kargen zwölf Seiten inklusive Umschlag bietet es nur knappe, eher biografische und rezeptionsgeschichtliche Bemerkungen, dazu die Dirigentenbiografien (deutsch/englisch). Das Wichtigste fehlt: die gesungenen Texte – bei Markevitchs Psalm-Kompilation lässt sich so nicht einmal die Bibel zu Rate ziehen. Die Frage, welche textlichen Qualitäten die Komponisten zu ihrer so individuellen Musik angeregt haben, bleibt also ebenso offen wie die Frage, zu wessen Nutzen das Münchner Rundfunkorchester aufgelöst werden soll.
Andreas Bomba