Paradisi Gloria 21

Live World Premiere Recordings. Werke von Oriol Cruixent, Johanna Doderer, Gerd Kühr, Joanna Wozny

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik 900302
erschienen in: das Orchester 01/2011 , Seite 74

Die Münchner Konzertreihe „Paradisi gloria“, ausgerichtet vom Chor des Bayerischen Rundfunks und dem Münchner Rundfunkorchester unter Ulf Schirmer, stand während der Spielzeit 2008/09 unter dem zweieinigen Thema „Magnificat und Maria“. Rühmlicher Anlass für den Sender, Werke in Auftrag zu geben, die sich der Botschaft des ersten Kapitels aus dem Lukas-Evangelium widmen (in der Lutherbibel mit der Überschrift „Marias Lobgesang“ versehen) oder mit der Glaubensfigur Maria bzw. dem Marienkult auseinandersetzen. Vier dieser Auftragskompositionen dokumentiert der Bayerische Rundfunk nun in seiner CD-Reihe BR Klassik. Dass die litauische Komponistin Onute Narbutaite 2003 mit ihrem Triptychon Tres Dei Matris Symphoniae gleichfalls der Muttergottes gedachte, sei am Rande vermerkt.
Sowohl der 1976 in Barcelona geborene und bei Dieter Acker in München ausgebildete Komponist Oriol Cruixent als auch die Polin Joanna Wozny (Jahrgang 1973) verzichten auf die Mitwirkung eines Chors. Wobei Letztere ganz ohne menschliche Stimmen auskommt, während der Katalane wenigstens die Orchestermusiker zu Wort kommen lässt. Im zweiten Teil seines Diptychons Abismes (Abgründe) sprechen sie über grummelnden Pauken Worte aus der Bergpredigt, bevor tibetische Klangschalen Jesu Gebot unbedingter Nächstenliebe in eine panreligiöse Sphäre heben. Magisch, hypnotisch, endlich gar fröhlich wirkt dieser Werkteil. Ihm steht der raue Kopfteil, der auf die Zeit vor Jesu Geburt verweist, mit eisigen Flageoletts, Posaunen-Fanfaren und archaischem Choral-Anklang komplementär gegenüber.
Gerd Kühr – 1952 in Kärnten geboren, Kompositionsschüler von Hans Werner Henze – verknüpft den Lobgesang Mariae mit Versen von Rainer Maria Rilke (aus Magnificat) und Zitaten von Georg Christoph Lichtenberg, dem geistreichen Satiriker der Aufklärung. Eine gewisse Glaubens-Distanz verraten schon Kührs lateinische „Stücktitel“ Introductio – Meditatio – Magnificat – Epilogus. Rilkes Eingangsverse „Sie kam den Hang herauf, schon schwer, fast ohne/an Trost zu glauben, Hoffnung oder Rat“, anfangs vom Bariton vorgetragen, entsprechen dieser Haltung ebenso wie klangliche Zurückgenommenheit, Gesten des Stockens und Zweifelns.
Joanna Wozny – Schülerin von Kühr, Beat Furrer und Younghi Pagh-Paan – lässt aus amorpher Tonmasse litaneiartig wiederholte Einwürfe auftauchen, die sich wie Klanginseln von einer Meeresfläche abheben, was den Titel Archipel erklärt: eine stille, seltsam entrückte, pausendurchsetzte, wundersame, sprachlos staunende Seelenlandschaft.
Krass abstechend hiervon die hymnische Anrufung der Muttergottes mit Sopran, Chor und Orchester im Salve Maria der Österreicherin Johanna Doderer. Der antifonale Wechselgesang wird dramatisch überwölbt von wuchtigen Orchester-Sequenzen und Momenten kammermusikalischen Innehaltens, bevor Stimmen und Instrumente in strahlenden Jubel ausbrechen. Wobei mir Woznys zaghafte und rätselvolle Annäherung an das Marienwunder näher geht. Ulf Schirmer setzt sich für alle vier Werke mit gleicher Hingabe ein.
Lutz Lesle