Beikircher, Konrad
Palazzo Bajazzo
Ein Opernführer
Komödien sind eine schwierigere Materie als Tragödien. Es ist vermutlich auch leichter, ernst über die ernste Kunst zu schreiben als humorvoll und heiter. Zu oft geht mit dem konventionell-
respektlosen Ton auch der Geist verloren. Nicht so beim Vielkönner Konrad Beikircher Musikschriftsteller, Psychologe, Kabarettist , der kürzlich einen Opernführer vorgelegt hat. Der fungiert als ein gleichermaßen guter Prüfstein für den Humor und die Vorurteilslosigkeit des Lesers wie für die Souveränität und die Virtuosität des Autors. Wer ihn schon aus seinen beiden Konzertführern Andante spumante (siehe Besprechung in Das Orchester 11/01) und Scherzo furioso kennt, ahnt, was auf ihn zukommt: ein Opernführer der eher ungewöhnlichen Art.
Dass Beikircher wie es oft in Rezensionen hieß die großen Werke der klassischen Musik nicht ganz ernst nimmt, trifft den Charakter seiner Texte allerdings nicht. Selbstverständlich nimmt er die Werke ernst. Das zeigt sich vor allem daran, dass er sie wie seine Westentasche kennt. Was dagegen so viel unernstes Vergnügen in Hirn und Herz des Lesers bereitet und was Beikirchers Darstellung im Wortsinn auszeichnet, ist seine souveräne und uneitle Demaskierung unaufgeklärt-selbstgefälliger Ernsthaftigkeit. Dabei gelingt es ihm, immer beide Fraktionen anzusprechen: die Opernkenner und die Ahnungslosen. Sie finden sich bei der Lektüre wahrscheinlich oft im verstehenden Lachen vereint.
Das Buch beginnt mit einer Gebrauchsanweisung. Sie hilft dem Leser bei der Orientierung und bindet den Autor, die einzelnen Opern wie komisch auch immer beschrieben dennoch nach Standards und damit vergleichbar zu beurteilen. Die sorgfältig gepflegten Rubriken ihrerseits freilich weichen von denen anderer Opernführer ab. Neben eher konventionellen Kategorien wie Entstehung und Uraufführung werden die Werke nämlich auch nach Hits, Flops (Aufführungen des Bajazzo wurden so manches Mal zum Floppissimo) oder Diverses (sprich Kuriositäten) geordnet und außerdem auf Gähn-, Moral-, Tränen-, Gourmet- und Ewigkeits-Skalen eingetragen. Solch eine Methode erzwingt eine eigensinnige Sprache. Der Blick in das Register liefert Beispiele, die sogleich gesteigertes Interesse wecken. Denn dort gibt es Stichworte wie Rampenschlecker, Gießkannen-Ensemble und Sado-Maso-Arien.
Der Leser findet, was er braucht: biografische Notizen zum Komponisten und zum Librettisten. Auch und gerade, wenn er nicht Da Ponte heißt. Den kurzen Beschreibungen sind häufig noch instruktive kulturgeschichtliche Daten beigegeben, wie zum Beispiel, dass Claudio Monteverdis Krönung der Poppea eine der ersten Opern ist, die nicht mehr Götterkrams, sonden normale historische Begebenheiten zum Thema hat.
Sehr nützlich ist weiterhin, dass die Rollenfach- und Orchesterbesetzungen durchweg vollständig angegeben sind. Unbedingt wissen sollte man noch vor dem Kauf, dass dieser Opernführer erstens Löcher hat. Denn es fehlen solche Größen wie Wagner, Strauss und Puccini. Die folgen, so Beikirchers Versprechen, beim nächsten Mal. Dass man aber zweitens einen Extraservice bekommt. Und zwar die CD-Tipps des Musikkritikers Wolfram Goertz, an dem Beikircher schätzt, dass er zu den wenigen Opernkritikern gehört, die zuerst die musikalischen Seiten einer Aufführung betrachten und erst dann über die Inszenierung sprechen.
Eine Warnung zum Schluss: lieber nicht erst kurz vor dem Opernbesuch ins Buch schauen. Sonst kommt man garantiert zu spät.
Kirsten Lindenau