Weber, Carl Maria von / Johannes Brahms

Ouvertüre zu “Oberon” / Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Rubrik: CDs
Verlag/Label: querstand VKJK 0414
erschienen in: das Orchester 12/2004 , Seite 89

Lange plagten Brahms Selbstzweifel, ob er die sinfonische Instrumentierung wohl jemals ausreichend beherrschen werde. Und als 1862 in einem erneuten Anlauf der Eröffnungssatz seiner ersten Sinfonie so weit gereift war, dass er Gnade vor dem Meister fand, dauerte es noch weitere 14 Jahre, bis Brahms seine Sinfonie c-Moll in ihrer viersätzigen Konzeption als vollendet betrachten konnte. Wie beim Komponisten Form und Gestalt, so reift auch beim nachschaffenden Künstler mit der immerwährenden Auseinandersetzung im Laufe eines langen Musikerlebens der interpretatorische Zugang.
Bernard Haitink hat mit der Staatskapelle Dresden seine aktuelle Sichtweise dieser Sinfonie (gekoppelt mit Webers Oberon-Ouvertüre) nun als Konzertmitschnitt aus dem Kulturpalast Dresden aus dem Jahr 2002 auf CD veröffentlichen lassen. Und er findet hier zu solch fein austarierten Klängen, dass man die Stimmlinien kaum je ausgewogener ausformuliert, die Figuren kaum je stimmiger ausgeleuchtet dürfte hören können. Hoch konzentriert lenkt Haitink seine Dresdner Staatskapelle durch einen Mikrokosmos selbst kleinster Spannungsverläufe. Er spürt liebevoll dialogischen Strukturen nach und spielt mit leichter Hand mit der Schärfung und der Rundung der Konturen. Die Staatskapelle zeigt sich in Bestform, die Homogenität und die Präzision ihrer Streicher, der weiche Ansatz ihrer Holzbläser dürften schwerlich zu übertreffen sein. Haitink setzt auf eine grandiose, fast kammermusikalische Durchsichtigkeit, die Balance der Hauptlinien und Nebenlinien des musikalischen Geflechts erscheint nachgerade ideal.
Und doch vermag er den Hörer mit solch staunenerregender Kunstfertigkeit nicht in allen Momenten zu berühren, denn seinem reich ausdifferenzierenden Modellieren fehlt es bisweilen ein wenig am unmittelbaren Impetus. Der noblen klanglichen Rundung und der sensibel ausgezirkelten Linienführung merkt man mitunter den mit kühlem Kopf kalkulierten Ausdruckswillen an. Haitink neigt zu eher langsamen Tempi, die seiner unerhörten Transparenz des klanglichen Geschehens ja auch förderlicher sind. Aber er riskiert auf der anderen Seite mit seiner die insistierende Emphase zügelnden und das Temperament unter Kontrolle haltenden Sichtweise auch zugleich, dass – insbesondere im Finalsatz – Kontraste etwas verschliffen werden und diese nicht immer (etwa der Eintritt des Alphornrufs) die wünschenswerte einschneidende Prägnanz erhalten.
Biegsame Geschmeidigkeit und klangliche Leuchtkraft zeichnen auch die Darstellung von Webers Oberon-Ouvertüre aus. Haitink und die Staatskapelle Dresden setzen hier auf das Moment musikalischer Ausdrucksvielfalt, die im weiten Spektrum von Sanglichkeit und Elan nie die nötige Detailfreude missen lässt.
Thomas Bopp

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