Dusapin, Pascal

Outscape

Concerto pour violoncelle & orchestre, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Salabert, Paris 2015
erschienen in: das Orchester 11/2016 , Seite 60

Vor zwanzig Jahren schrieb Pascal Dusapin (*1955) sein erstes Werk für Violoncello und Orchester: Celo. Besonders die Weite des Tonumfangs und das differenzierte Klangspektrum des Violoncellos faszinierten den französischen Komponisten, der in den vergangenen Jahren durch außergewöhnliche Werke im Feld der neuen Musik auf sich aufmerksam gemacht hat.
Mit dem Auftrag, ein Konzert für die amerikanische Cellistin Alisa Weilerstein und das Chicago Symphony Orchestra zu schreiben, kam nun Outscape hinzu. Weilersteins flexible Interpretationskunst sowie ihre enorme musikalische Energie inspirierten Dusapin zu einer komplexen und klanglich vielschichtigen Komposition. Das Stück verbindet kaum hörbare Momente, aufblitzende Melodiefragmente und akzentuierte, virtuose Passagen bis hin zu furiosen und energischen Ausbrüchen des Solocellos. So entstehen immer neue akustische „Landschaften“, die fließend ineinander übergehen und sich dabei in ihren klanglich dissonanten Erscheinungen stets verwandeln.
Der Komponist reizt die Register und Gestaltungsmöglichkeiten von Cello und Orchester voll aus und verlangt den Musikern technisch und besonders rhythmisch sehr viel ab. Taktart, Dynamik und Spieltechniken wechseln häufig und rapide. Auf besondere Weise gestaltet Dusapin die Rollenverteilung von Solist und Orchester; auch hier zeigt sich Kontinuität im Wandel: „dieses Werk [erfindet] sich selbst: Es bewegt sich immerzu hin und her zwischen einem Cello, das ,zum Orchester wird‘ und einem Orchester, das ,zum Cello wird‘. Jede der beiden musikalischen Kräfte will sich der anderen annähern, mit deren ,Andersartigkeit‘ verschmelzen, ihre Unterschiede erkunden und sich diese aneignen; entfliehen, wiederkehren und eine neue musikalische Zukunft erschaffen.“
Musikalisch zeigt sich das beispielsweise zu Beginn der Komposition: Aus dem Nichts kommend klingt im Solocello das tiefe Cis, es wird von der Bassklarinette aufgegriffen. Die beiden Instrumente changieren in der Klangfarbe. Mit weiteren Instrumenten des Orchesters, die nach und nach hinzukommen, entstehen Schwebungen, Überlagerungen und Reibungen, die spannende und dichte Klangbänder um Achsentöne bilden. Auch im weiteren Verlauf des Stücks kommt dem Ton Cis eine besondere Rolle zu: Das Solocello friert ihn in hoher Lage quasi ein. Dusapin fordert hier einen sonoren Ton, ohne Vibrato, einen „Ice-sound“.
Das etwa 30-minütige Konzert steigert sich in einem Bogen fortwährend zu einem großen Höhepunkt im ffff (Partitur: „Furiously!“), der die Naturgewalten einer „Eiswüste“ – die dem Komponisten vorgeschwebt haben mag – in Dusapins Klangsprache transformiert. Innerhalb eines einzigen Taktes führt er die lange, mechanische und sich selbst fast überschlagende Sechzehntelpassage (Partitur: „Yes, I know it is very fast…“) des Solocellos zurück ins Nichts, ehe die Komposition langsam verklingt.
Anna Catharina Nimczik