Stuppner, Hubert

Oswald von Wolkenstein. Liebe, List und Leidenschaft

Stuppner, Hubert

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Athesia, Bozen 2014
erschienen in: das Orchester 06/2015 , Seite 72

Bereits der Titel von Hubert Stuppners Buch Liebe, List und Leidenschaft lässt vermuten, dass hier besonders die ausgelassenen und mitunter deftigen Seiten des oft als „letzter Minnesänger“ bezeichneten Ritters Oswald von Wolkeinstein in den Vordergrund gestellt werden, und in der Tat hält sich der Autor an seine thematische Vorgabe. So bedient die Publikation all die gängigen Stereotype, die sich im Bezug auf Oswald und die Welt des späten Mittelalters festgesetzt haben und die in populären Medien nach wie vor fröhliche Urstände feiern.
Oswald als Phänomen, als einem der großen „Self-promoter“ seiner Zeit ist – wenn überhaupt – nur in all seiner Komplexität beizukommen und fordert von einem Autor kritische Distanz. Gerade hieran scheitert Stuppner, der in vielen Fällen die Liedtexte Oswalds allzu wörtlich nimmt und in ihnen das biografische Gerüst von Oswalds Leben erblicken will. Gewiss, Stuppner steht hier in einer langen Tradition, jedoch versteigt er sich noch weiter als frühere Autoren in gewagte Psychogramme und Charakterbeschreibungen, die sich wohl kaum aus dem auktorialen „Ich“ der Liedtexte herleiten lassen. Diesen aus den Liedern gewonnenen „biographischen Kern“ versucht Stuppner in einen historischen Kontext zu stellen. Leider gelingt ihm auch dies nur an wenigen Stellen, greift er doch allzu häufig auf veraltete, in manchen Fällen auch widerlegte oder auch schlichtweg falsche Informationen zurück. So ist das Berufsbild des professionellen Musikers zu Beginn des 15. Jahrhunderts zumeist viel etablierter und auch biederer, als dies dem Autor bewusst ist. Kaum eine Tätigkeit wurde von adeligen und städtischen Obrigkeiten stärker reglementiert und kontrolliert als Musik im öffentlichen Raum. So hätten die von Stuppner an vielen Stellen des Buchs mit Oswald in Zusammenhang gebrachten fahrenden Musiker und Vaganten an den meisten Orten des Reichs kaum eine legale Bühne für ihre Musik gefunden. Vielmehr waren es meist fest angestellte Berufsmusiker, die höfische und städtische Rituale begleiteten und bei der ständischen Repräsentation ihren Beitrag leisteten.
Ein weiteres Manko von Stuppners Buch ist das Fehlen einschlägiger neuerer Literatur in den Anmerkungen und demzufolge auch in seinen Ausführungen. Es existiert eine Vielzahl nicht genutzter Studien über das Leben und Werk von Oswald, die durch entsprechende Hilfsmittel leicht bibliografierbar gewesen wäre. Besonders die Absenz großer Teile der umfangreichen englischsprachigen Literatur fällt auf.
Andererseits beruhen wesentliche Passagen des Buchs, besonders die teils längeren Exkurse, auf eher populären Werken, Fernsehprogrammen, Webseiten und mitunter auch CD-Booklets. So muss etwa eine reißerische SAT-1-Fernsehproduktion aus dem Jahr 2012 über Wanderhuren Stuppner besonders beeindruckt haben, liest man die in Teilen darauf basierende Passage zur Prostitution im Umfeld des Konzils von Konstanz. Besonders ärgerlich sind auch die mangelhaften Angaben zu den Abbildungen im Buch, aus denen die Vorlagen nicht hervorgehen. Alles in allem vermag es Hubert Stuppner nicht, ein kritisches und dem Stand der Forschung entsprechendes Bild von Oswald von Wolkenstein und seiner Werke zu zeichnen.
Volker Schier