Gluck, Christoph Willibald

Orphée et Eurydice

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Farao Classics D 108 045
erschienen in: das Orchester 06/2005 , Seite 83

Geschmackvoll und überzeugend inszenierte Barockopern sind immer noch seltene Glücksfälle. Zwei Regisseure, die sich darauf verstehen, sind der Brite Nigel Lowery und der gebürtige Iraner Amir Hosseinpour. Gleich zwei Produktionen des bewährten Teams sorgten 2003 für Furore, Händels Rinaldo in Berlin und Glucks hier auf DVD dokumentierter Orphée in München, eine mustergültige, einfach einzigartige Produktion mit einer geradezu sensationellen Vesselina Kasarova. Orphée in der Fassung von Hector Berlioz aus dem Jahr 1859 – entstanden einst für die berühmte Mezzosopranistin Pauline Viardot – ist ihre Rolle. Ungemein zart, feinfühlig und ausdrucksinnig erkundet sie die wechselnden Gemütszustände des thrakischen Helden, der sogar Furien zu rühren vermag. Kristallklar leuchtet dabei ihre Stimme, umhüllt von einem betörend schönen, warmen Timbre. Und die pure Verzweiflung über den Tod der Geliebten – sie entlädt sich mit wachsender Intensität in virtuosesten, herrlich schwerelosen Koloraturen.
Das alles vermittelt sich in dieser auch technisch hervorragenden Aufnahme bestens. Im Grunde ist die ganze Produktion eine einzige Hommage an Kasarova, die einmal sogar vor den Vorhang tritt. Ganz allein steht sie plötzlich im Rampenlicht und singt aufs Innigste von der Liebe.
Die Stärken der Inszenierung liegen in ihrer behutsam dezenten Modernisierung. Der Orpheus von heute ist ein Konzertmeister im schwarzen Frack, der Chor, in ebenfalls schwarzen Fräcken und mit Instrumenten in der Hand, bildet sein Orchester. Nur in der Unterwelt – hier eine riesige Küche mit glühenden Töpfen – geht es hoch her. Furien treten
als grobschlächtige Metzgerinnen und Köchinen auf. Sie zersägen, pfeffern und braten die Verdammten. Allerdings muss sich an dieser Stelle das Auge des Betrachters sehr anstrengen, denn im Film wirkt sich die tiefdunkle Beleuchtung weit ungünstiger aus als auf der Bühne.
Vor allem aber im zweiten Akt gefallen stimmungsvolle Bilder und Regie-Ideen: Türkisblau und surreal ist das auf einer kleinen Guckkastenbühne sichtbar werdende Elysium, eine Landschaft, die an Dalí oder de Chirico erinnert. Hier, wo zahme Tiere wohnen, sich Katzen und Äffchen kraulen lassen, möchte man gerne auch an das Wunder glauben, dass eine Gestorbene dem lebenden Geliebten wieder die Hand reicht. Schließlich der Coup: Zur finalen Ballettmusik, die Gluck in seiner französisierten zweiten Fassung – zwölf Jahre nach der Wiener Uraufführung von 1762 – anfügte, wird eine Choreografie geboten, die den antiken Mythos gekonnt parodiert.
Auch musikalisch ist diese Produktion vom Feinsten: Rosemary Joshua ist mit engelsgleichem Sopran eine ebenbürtige Partnerin für Kasarova, das Orchester der Bayerischen Staatsoper pflegt unter Leitung von Ivor Bolton stilsicher einen transparenten Klang. Nicht zuletzt profitiert die DVD von der Spontaneität einer Liveaufführung, die bereits einen festen Platz in der Rezeptionsgeschichte eingenommen hat.
Kirsten Liese

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