Orientalische Märchen

Ottorino Respighi: Ballettsuite "Belkis, Regina di Saba" / Nikolai Rimski-Korsakow: Sinfonische Suite "Scheherazade" op. 35

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 04047
erschienen in: das Orchester 06/2005 , Seite 78

Diese CD vereint zwei Dokumente des Orientalismus bzw. Exotismus, der in der euopäischen Musik spätestens seit dem 18. Jahrhundert vertreten war, gegen Ende des 19. Jahrhunderts jedoch regelrecht zur Mode wurde. Eines dieser Werke erfreut sich seit seiner Entstehung ungebrochener Beliebtheit in den Konzertprogrammen – Nikolai Rimski-Korsakows Sinfonische Suite Scheherazade. Beim anderen jedoch handelt es sich um eine Rarität: die Suite aus Belkis, Regina di Saba von Ottorino Respighi.
Handlung des 1932 uraufgeführten Balletts ist der Besuch der Königin von Saba bei König Salomo. Wer Respighis „Rom-Trilogie“ kennt, wird ahnen, was auf ihn zukommt: luxuriös funkelnde Orchesterfarben, zündende Rhythmik, aber auch ein nicht zu überhörender Hang zum Monumentalen. Dass die Musik gelegentlich klingt wie der Soundtrack eines im Orient angesiedelten Hollywood-Epos, kann dem Komponisten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dennoch überwiegt – zum Beispiel im Finalsatz mit dem sprechenden Titel „Danza orgiastica“ – Lautstärke oft gegenüber musikalischer Substanz. Dies wird wiederum ausgeglichen durch eine höchst raffinierte Instrumentation mit mannigfachem exotischen Schlagwerk.
Der Württembergischen Philharmonie Reutlingen gelingt unter ihrem musikalischen Leiter Norichika Iimori eine charakterstarke, über weite Strecken mitreißende Interpretation, die dem selten gespielten Werk in allen Facetten Gerechtigkeit widerfahren lässt, ohne dabei Tiefen zu suchen, wo sich keine befinden.
Angesichts der Scheherazade stellt sich zuallererst die Frage, warum man sich, da es Dutzende von Einspielungen dieses Werks gibt, ausgerechnet eine CD mit der Württembergischen Philharmonie zulegen sollte. Die Frage wird jedoch rasch beantwortet: Orchester und Dirigent haben sich mit viel Liebe und vor allem Detailtreue in die Partitur versenkt, und das Ergebnis ist eine ungemein vielschichtige Interpretation, die sich vor großen Namen nicht verstecken muss. Es sind weniger die reißerischen Qualitäten der Partitur, die in den Vordergrund gestellt werden, sondern sensible Charakterzeichnungen, mittels derer die Figuren der Märchenerzählerin und ihres Sultans höchst lebendigen Klang gewinnen. Und auch die durchaus vorhandenen sinfonischen Dimensionen des Werks treten offen zu Tage. Die mannigfachen Steigerungen des Finalsatzes erklingen mit der gebotenen Dramatik und bleiben doch stets transparent. Ein ungemein warmes, dynamisches und präsentes Klangbild trägt zum Erfolg einer Einspielung bei, mit der ein ebenso traditions- wie verdienstreicher Klangkörper eine in allen Punkten überzeugende Visitenkarte vorlegt.
Thomas Schulz