Chabrier, Emmanuel
Orchestral Works
Im späten 19. Jahrhundert frönte das intellektuelle Paris der Decadence und einer speziellen, französischen Form des Wagnerismus. Ausbrüche aus dieser gern als Treibhaus-Atmosphäre bezeichneten Stimmung waren im französischen Kulturbetrieb herzlich willkommen. So konnte auch ein musikalischer Autodidakt, der die strenge Schule des Pariser Conservatoire nicht durchlaufen hatte, Aufmerksamkeit und einen engagierten Diskurs finden. Emmanuel Chabrier verließ mit 39 Jahren seine Beamtenlaufbahn und machte alsbald mit Opern, die seine Auseinandersetzung mit Berlioz und Wagner nicht verleugnen, Furore.
Seiner Auseinandersetzung mit spanischer Folklore dagegen verdanken wir seine Präsenz auf den heutigen Konzertbühnen. Schon große Dirigenten wie Ernest Ansermet und Thomas Beecham hatten sich Chabriers großem Charakterstück, der Rhapsodie España, die französische Impressionisten wie Debussy und Ravel beeinflusste, gewidmet.
Im Jahr 1918 gründete Ansermet sein Orchestre de la Suisse Romande, das er bis 1967 leitete. Er brachte Werke von Strawinsky und Honegger zur Uraufführung und pflegte in seinem Repertoire auch Werke von Chabrier, auch und vor allem España. Mit einem Rückgriff auf dieses Stammrepertoire hat der seit 2012 amtierende neue Chefdirigent Neeme Järvi ein Jahr vor Charbriers 120. Todestag eine sehr gute Wahl getroffen. Der Este haucht mit dem Orchestre de la Suisse Romande dem zum Gassenhauer tendierenden Erfolgsstück seine ursprüngliche Frische und fröhliche Anarchie wieder ein. Diese Einspielung arbeitet sowohl die originelle Instrumentation als auch die flotte, folkloristische Rhythmik plastisch hervor. Järvis Interpretation wirkt durch starke rhythmische Freiheiten geradezu schmissig, was dem Stück eine packende Modernität beschert.
Um die Rhapsodie España herum sind auf dieser Chandos-CD weitere heute nicht mehr ganz so aktuelle Werke des aus der Auvergne stammenden Chabrier gruppiert. In einem zweiten spanischen Titel, einer Habanera, die ebenso wie España als Frucht von Chabriers Spanienreise gilt, lotet Järvi sehr gekonnt und wunderbar zart und liebenswert die Grenze zum Kitsch aus. Daneben stehen Orchesterstücke aus Chabriers Opern Gwendoline, L’Etoile und Le Roi malgré lui, die die schon erwähnte Nähe zu Wagner und Berlioz nicht abstreiten können. Seine Opernroutine beweist das Orchester etwa bei der Ouvertüre zur vergessenen Oper Gwendoline. Die Überladenheit der Partitur wird sehr erfolgreich zelebriert und zugleich gezähmt, sodass man neugierig auf das gesamte Werk wird.
Als ein zweiter Solitär nach der Rhapsodie España steht auf dieser CD der packende, schmissige Joyeuse marche. Hier kann ein Orchester wie das Orchestre la Suisse Romande seine gesamte Brillanz aufzeigen, Järvi fordert unakademischen Elan und Energie. Dirigent und Orchester haben sich auf dieser CD sehr um ein neues Chabrier-Bild verdient gemacht.
Katharina Hofmann