Chabrier, Emmanuel

Orchestral Works

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Chandos CHSA 5122
erschienen in: das Orchester 01/2014 , Seite 79

Im späten 19. Jahr­hun­dert frön­te das in­te­llek­tu­el­le Pa­ris der De­ca­dence und ei­ner spe­zi­el­len, fran­zö­si­schen Form des Wag­ne­ris­mus. Aus­brü­che aus die­ser gern als Treib­haus­-At­mo­sphä­re be­zeich­ne­ten Stim­mung wa­ren im fran­zö­si­schen Kul­tur­be­trieb herz­lich will­kom­men. So konn­te auch ein mu­si­ka­li­scher Au­to­di­dakt, der die stren­ge Schu­le des Pa­ri­ser Con­ser­va­toi­re nicht durch­lau­fen hat­te, Auf­merk­sam­keit und ei­nen en­ga­gier­ten Dis­kurs fin­den. Em­ma­nu­el Chab­rier ver­ließ mit 39 Jahren sei­ne Be­am­ten­lauf­bahn und mach­te als­bald mit Opern, die sei­ne Aus­ein­ander­set­zung mit Ber­lioz und Wag­ner nicht ver­leug­nen, Fu­ro­re.
Sei­ner Aus­ei­nan­der­set­zung mit spa­ni­scher Folk­lore dagegen ver­dan­ken wir sei­ne Prä­senz auf den heu­ti­gen Kon­zert­büh­nen. Schon gro­ße Di­ri­gen­ten wie Ernest An­ser­met und Tho­mas Be­echam ha­tten sich Chab­riers großem Cha­rak­ter­stück, der Rhap­so­die Espa­ña, die fran­zö­si­sche Im­pres­si­o­nis­ten wie De­bus­sy und Ra­vel be­ein­fluss­te, ge­wid­met.
Im Jahr 1918 gründete Ansermet sein Orchestre de la Suisse Romande, das er bis 1967 leitete. Er brachte Werke von Strawinsky und Honegger zur Uraufführung und pflegte in seinem Repertoire auch Werke von Chabrier, auch und vor allem Espa­ña. Mit einem Rückgriff auf dieses Stammrepertoire hat der seit 2012 amtierende neue Chefdirigent Neeme Järvi ein Jahr vor Charbriers 120. Todestag eine sehr gute Wahl getroffen. Der Este haucht mit dem Or­chest­re de la Su­is­se Ro­man­de dem zum Gas­sen­hau­er ten­die­ren­den Er­folgs­stück sei­ne ur­sprüng­li­che Fri­sche und fröh­li­che Anar­chie wie­der ein. Diese Einspielung arbeitet so­wohl die ori­gi­nel­le In­st­ru­men­ta­ti­on als auch die flot­te, folk­lo­ris­ti­sche Rhyth­mik plas­tisch her­vor­. Järvis Interpretation wirkt durch starke rhythmische Freiheiten geradezu schmissig, was dem Stück eine packende Modernität beschert.
Um die Rhapsodie Espa­ña he­rum sind auf dieser Chandos-CD wei­te­re heute nicht mehr ganz so aktuelle Werke des aus der Auvergne stammenden Chabrier gruppiert. In einem zweiten spa­ni­schen Ti­tel, einer Ha­ba­ne­ra, die ebenso wie Espa­ña als Frucht von Chabriers Spanienreise gilt, lotet Järvi sehr gekonnt und wun­der­bar zart und lie­bens­wert die Gren­ze zum Kitsch aus­. Daneben stehen Orches­ter­stü­cke aus Chabriers Opern Gwen­do­li­ne, L’Etoile und Le Roi mal­gré lui, die die schon erwähnte Nähe zu Wagner und Berlioz nicht abstreiten können. Sei­ne Opern­rou­ti­ne be­weist das Or­ches­ter etwa bei der Ou­ver­tü­re zur ver­ges­se­nen Oper Gwen­do­li­ne. Die Über­la­den­heit der Par­ti­tur wird sehr erfolgreich ze­leb­riert und zugleich ge­zähmt, sodass man neu­gie­rig auf das ge­sam­te Werk wird.
Als ein zweiter Solitär nach der Rhapsodie Espa­ña steht auf dieser CD der pa­cken­de, schmis­si­ge Joyeu­se mar­che. Hier kann ein Or­ches­ter wie das Or­chest­re la Su­is­se Ro­man­de sei­ne ge­sam­te Bril­lanz auf­zei­gen, Jär­vi for­dert un­a­ka­de­mi­schen Elan und Ener­gie. Dirigent und Orchester haben sich auf dieser CD sehr um ein neues Chabrier-Bild verdient gemacht.
Katharina Hofmann