Pikullik-Bastian, Susanne
Orchesterzeichnungen
Selbstverständlich besteht eine hohe Affinität zwischen Malerei und Musik in zweierlei Hinsicht. Zum einen sind Musiker selbst häufig Gegenstand von Malern, man denke an Degas; zum anderen sind Bilder und Zeichnungen auf die Fläche übertragene Klangkompositionen, man denke an Kandinsky. Parameter wie Dynamik und Stagnation, Dichte und Rhythmus lassen sich gleichermaßen in Partituren wie in Gemälden und Zeichnungen finden.
Verlockend mithin der Gedanke, musikalisches Geschehen in optischen Momentaufnahmen festzuhalten mithin Musiker bei der Ausübung ihres Tuns mittels einer zeichnerischen Momentaufnahme so zu erfassen, dass die Musikalität ihres Tuns sichtbar wird.
Wer dieses schwierige, kunstvolle Unterfangen meisterhaft bewältigt, ist Susanne Pikullik-Bastian mit ihren über 70 Orchesterzeichnungen. Dirigenten, Sänger, Instrumentalisten durchweg prominente Namen werden während ihres Tuns in raschen Momentaufnahmen erfasst, wobei diese, aneinandergereiht, sich selbst zu einer Bildpartitur fügen. Mit einer auf das Wesentliche reduzierten, gleichwohl virtuosen Linienführung, die eine große Bandbreite zwischen Ruhe und Bewegung abzutasten vermag, wird nicht nur der typische Gestus des Musikers, sondern auch der musikalische Klanggestus deutlich gut, dass die Titel jener Werke mitgeteilt werden, die aufgeführt wurden. Da wird in einer Till-Eulenspiegel-Passage von Strauss die in vier kleinen Strichen angedeutete Hand des Dirigenten in Verbindung mit dem zum Block geronnenen Körper zum Ausdruck einer leisen, vielleicht gar Pizzicato-Stelle, während die fast zu einem Cluster sich aufschichtende Linienbewegung eines mit ganzem Körpereinsatz dirigierenden Maestro das ausdrückt, was Ausdruck der Musik selbst ist: ein Tanz zu sein, einer der berühmten Ungarischen von Brahms.
Ein Glanzstück des Buchs sind gewiss die 15 Momentaufnahmen von Midori beim Spielen des Mendelssohnschen Violinkonzerts. Von einer sich mit kleinsten Andeutungen begnügenden Linienführung über girlandenhaft ausgreifende Bewegungen, die am Ende zu wilden Kreisen mutieren, drückt der so präsentierte Körper der Virtuosin das aus, was Mendelssohns Musik an Farben und Stimmungen bereithält. Faszinierend auch zu sehen, wie bei den Instrumentalisten überhaupt Körper und Instrument zu einer völligen Einheit verschmelzen.
Kraft und Eleganz, Konzentration und (auch) Müdigkeit, Versunken-sein und Auftrumpfen das ganze Panoptikum gestenreicher Körpersprache wird in diesen meisterhaften Skizzen so eingefangen, dass daraus eine sichtbare Partitur der so betörend fluiden Klänge großer Musik wird. Dass Pikullik-Bastians Zeichnungen zudem an die thematisch verwandten eines Paul Klee aus den späten 1930er Jahren denken lassen, ist ein weiteres Indiz für deren künstlerische Meisterschaft.
Winfried Rösler