Fontyn, Jacqueline

Orchesterwerke

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cybele Records SACD 860.601
erschienen in: das Orchester 02/2009 , Seite 63

Das ist schon ein stattliches Werkverzeichnis, das Jacqueline Fontyn vorzuweisen hat. Die 1930 in Antwerpen geborene Komponistin zeigt sich äußerst vielseitig, schreibt Klavier- und Kammermusik, Werke für Gesang, Solo-Konzerte – kurzum: Sie beherrscht das ganze Tableau verschiedener musikalischer Genres. Vor allem aber liebt sie dieses eine, besondere Instrument: das Orchester! „Es eröffnet mir schier unendliche Ausdrucksmöglichkeiten“, begründet Fontyn ihre Vorliebe.
Quatre Sites, 1977 geschrieben, ist das älteste Stück des Fontyn-Porträts; Au fil des siècles entstand ein Vierteljahrhundert später zum 500. Geburtstag des Orchesters des Staatstheaters Kassel. Dazwischen liegen On a Landscape by Turner (1992) und L’anneau de jade (1996). Eine recht große Zeitspanne im Schaffen Fontyns also. Charakteristisch für jedes der jeweils rund 15-minütigen Stücke ist deren unerschöpfliche Farbigkeit. Fontyn erweist sich als virtuose Meisterin im Umgang mit dem riesigen Orchesterapparat, aus dem sie immer wieder überraschende Klänge hervorzaubert.
Als streiften die Augen ganz langsam über ein Landschaftspanorama von William Turner und nähmen allerlei Details, seine unscharfen Konturen, seine verschwommenen Flächen, aber auch vibrierende Bewegung wahr; als durchliefe man die 500-jährige Tradition des Kasseler Orchesters und mache für kurze Momente Station an herausragenden Punkten seiner Geschichte – Fontyns Musik erschließt sich auf ganz natürliche, sinnlich erfahrbare Weise. Sie ist nirgends hermetisch oder verkopft. Im Gegenteil: Einen Zugang bekommt man schon beim ersten Hören.
Vielleicht liegt es daran, dass Fontyns bildhafte Klangsprache großenteils rückgebunden ist an außermusikalische Eindrücke: eben jene der Betrachtung eines Turner-Gemäldes. Oder der Beobachtung einer Stadt mit all ihrer Betriebsamkeit wie im zweiten Satz von Quatre sites. Da murmelt das Orchester ganz quicklebendig, da machen sich viele kleine musikalische Aktionen bemerkbar. Aber sie alle bleiben eingebettet in einen übergeordneten Zusammenhang, vom kurzen Zwitschern eines Vogels einmal abgesehen.
Es ist schon schade, dass Jacqueline Fontyns Orchestermusik so gut wie keine Rolle spielt in den aktuellen Konzertprogrammen. Dabei ist sie genau das, was man mit dem etwas unglücklichen Begriff „dankbar“ bezeichnen kann: Sie weckt vom ersten Takt an Neugier, ist voller Spannung, lässt den Hörer so schell nicht los, gewiss auch den nicht, der mit Neuer Musik vielleicht nicht so viel anzufangen weiß.
Voraussetzung für eine solche gewinnbringende Hörerfahrung ist selbstverständlich eine intensive Umsetzung der Partitur. In dieser Hinsicht liefert das Janácek Philharmonic Orchestra Vorbildliches! Dirigent David Porcelijn entlockt dem im tschechischen Ostrava ansässigen Orchester eine reiche Palette an Farben, fächert sie wie mit dem Blick durch ein Kaleidoskop in ihre Bestandteile auf, ohne je den großen Bogen der Musik zu verlieren. Das ist maßstabsetzend!
Christoph Schulte im Walde