Brezinka, Thomas

Orchestermanagement

Ein Leitfaden für die Praxis

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bosse, Kassel 2005
erschienen in: das Orchester 01/2006 , Seite 72

Die Zahl von Büchern zum Kulturmanagement hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren ebenso vervielfacht wie die Zahl der entsprechenden Studiengänge. Ein Buch zum Theatermanagement gibt es auch schon. Aber ein Buch zum Orchestermanagement? Das suchte man bislang vergebens. Angesichts der Dichte der deutschen Orchesterlandschaft ist ein Aus- und Weiterbildungsbedarf im Bereich Orchestermanagement eigentlich unstreitig; die Suche nach vollwertigen Studienangeboten mit Praxisbezug ergibt: Fehlanzeige. Umso größer nun also die Neugierde, wie sich der Autor – ausgebildeter Dirigent, Musikwissenschaftler und Kulturmanager – diesem Spezialthema nähert.
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Der erste ist dem Orchester an sich gewidmet, der zweite dem Orchestermanagement; der dritte Teil (Anhang) schließlich wirft einen Blick in die USA und gibt subjektive Stellungnahmen von Fachleuten wieder, die sich mit der Zukunft des Sinfonieorchesters befassen. Im Teil „Orchester“ versucht der Autor nach einem kurzen historischen Überblick unter der Überschrift „Eine Welt für sich“ verschiedene Themen abzuarbeiten wie Publikum, Dirigent, Orchesterhierarchien, Musikerüberfluss und Musikerkrankheiten, Musikbeamtentum und Selbstverwirklichung. Diese Aufzählung zeigt schon, dass es etwas durcheinander geht.
Leider schleichen sich auch sachliche Fehler ein. So behauptet der Autor beispielsweise, die Probezeit eines Musikers betrage in Deutschland derzeit sechs Monate. Ein Blick in die einschlägigen Tarifverträge ergibt jedoch, dass die Probezeiten in der Regel zwischen zwölf und 18 Monaten liegen. Ebenso kühn und nicht durch statistisches Material belegt ist die Behauptung, „viele“ Orchestermusiker würden lieber auf einer halben Stelle arbeiten, da sie sich im „Korsett ihrer engen Arbeitswelt unwohl“ fühlen. Nach einer Kurzbeschreibung der gängigen Orchestertypen und Rechtsformen kommt der Autor auf ganzen neun Seiten auch auf Finanzierungsfragen zu sprechen. Es mag dem Gesamtumfang des Buchs geschuldet sein, aber hier hätte man sich ein etwas tieferes Eindringen in die Materie gewünscht.
Im zweiten Teil zum eigentlichen Orchestermanagement häufen sich dann leider sachliche Fehler: Da wird immer noch vom „Normalvertrag Solo“ gesprochen, obwohl dieser grundsätzlich durch den „Normalvertrag Bühne“ abgelöst wurde. Der übliche Begriff der „Orchesteralleinprobe“ (OA) scheint unbekannt zu sein, die Diensteinteilung in den Gruppen wird irrtümlich den Stimmführern und nicht den Diensteinteilern zugeordnet. Die Angaben zur Zusatzversorgung der Orchestermusiker sind teilweise falsch oder irreführend, die Anschrift der GVL in Hamburg schon länger überholt. So geht es weiter bei den Ausführungen zum Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK): Nebentätigkeiten des Musikers bedürfen nicht mehr – wie früher – der vorherigen Zustimmung des Arbeitgebers. Auch sind bloße fünf Seiten Ausführungen zum TVK in einem Handbuch zum Orchestermanagement absolut unzureichend, denn hier liegen doch in der täglichen Praxis die Haken und Ösen: beim Ausschöpfen der zulässigen Arbeitszeiten durch geschickte Disposition und im einschlägigen Vertragsrecht.
Das Buch von Thomas Brezinka kann bei allen angesprochenen Mängeln dem Anfänger einen ersten Überblick verschaffen. Der große Wurf im Sinne eines Standardwerks steht allerdings noch aus.
Gerald Mertens