Pfitzner, Hans

Orchesterlieder

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 552-2
erschienen in: das Orchester 05/2011 , Seite 74

Das Verhältnis der Musikwelt zu Person und Werk von Hans Pfitzner ist zwiespältig. Schon seine bereits um 1920 formulierte Gegenposition zur Neuen Musik, später als Warnung vor der „Futuristengefahr“ vorgetragen, machte ihn mehr als andere Komponisten der ersten Jahrhunderthälfte zur Persona non grata nach 1945/50. Da hat es seiner Nähe zu den NS-Machthabern – persönliche Kontakte zu Hitler und Geldzuwendungen von ihm, Mitgliedschaft im Reichkultursenat, viele Aufführungen und Ehrungen bis 1944 – fast gar nicht bedurft, um ihn bis in die 1970/80er Jahre vom Konzert- und Opernrepertoire weitgehend fernzuhalten. Indes wurden andere NS-Belastete problemlos aufgeführt. Und Pfitzners Bekenntnis zu einem radikalen Antisemitismus in Briefen schon um die Jahrhundertwende, das er sogar nach dem Krieg kurz vor seinem Tod 1949 geradezu wirrköpfig erneuerte, tat ein Übriges.
Erst seit etwa 20 Jahren wird die Ablehnung Pfitzners – besser: seiner Musik – überwunden, etwa durch Aufführungen seines Palestrina in England und den USA oder durch Dirigenten wie Christian Thielemann, Werner Andreas Albert und Rolf Reuter hierzulande oder Martin Sieghart in Ös­ter­reich. Nun lernen wir dank Otto Tausk und der Nordwestdeutschen Philharmonie mit dem Bariton Hans Christoph Begemann 18 in neuerer Zeit kaum aufgeführte Orchesterlieder Pfitzners kennen: Wir spitzen die Ohren und reiben uns die Augen ob der Qualität dieser Musik.
Nach dieser notwendigen Vorrede: Diese Stücke – zum Teil originäre Orchesterlieder, zum Teil später instrumentierte Klavierlieder – verblüffen durch die Vielfalt, den stets treffenden Ausdruck, die brillante Instrumentierung. Sie können neben den berühmten Beispielen der Gattung bestehen, den Liedern von Strauss und zum Teil sogar den Meisterwerken Mahlers, eine Beurteilung, die zu äußern ich nicht zögere. Dazu sind sie hier glänzend interpretiert.
Bei Die Heinzelmännchen op. 14 wird August Kopischs lustige Ballade in ein dezent buntes Szenarium verwandelt, das Begemann als hervorragendem Interpreten treffliche Charaktere und Temperamente anbietet in einem von Tausk perfekt gestalteten Orchesterrahmen. Der Trompeter
op. 25,1 des gleichen Texters wird zum opernhaften Drama. Klage op. 25,2 nach Eichendorff beschwört den Geist der Romantik und erinnert daran, dass Pfitzner in der Kantate Von deutscher Seele 20 von dessen Gedichten vertonte (CD von Martin Sieghart). Die hier nun enthaltenen vier Heine-Lieder op. 4 des kaum 20-Jährigen waren der erste vollständig einem Dichter gewidmete Zyklus und bereits ein ganzes Kaleidoskop der Farben und Empfindungen. Wanderers Nachtlied op. 40,5 (nach Goethe) und Ist der Himmel … so blau op. 2,2 (Leander) sowie Herbstlied op. 3,2 (Sallet) lassen an Mahler und Strauss denken, wobei gerade die beiden letzteren Lieder mit kaum mehr als einer Minute Dauer in ihrer lapidaren Aussage verblüffen. Eine fantastisch komponierte Elegie mit kammermusikalischen Episoden vor Orchesterkulisse ist Lethe op. 37 (Conrad Ferdinand Meyer).
Günter Buhles