Hafki, Thomas (Hg.)

Operntexte von Monteverdi bis Strauss

Originalsprachige Libretti mit deutschen Übersetzungen

Rubrik: CD-ROMs
Verlag/Label: Directmedia Publishing GmbH, Berlin 2002
erschienen in: das Orchester 07-08/2003 , Seite 89

Titel und Untertitel der vorliegenden CD-ROM suggerieren den Anspruch, eine umfassende Bibliothek von Operntexten vom 17. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu liefern. Die Fakten sind in der Tat beeindruckend: 95 Komponisten sind mit den Texten von 184 Bühnenwerken – neben Opern auch Operetten und Melodramen – vertreten, insgesamt 25274 Seiten. Das genauere Studium der abgedruckten Libretti offenbart jedoch schmerzliche Lücken seit dem ausgehenden 19. Jahrhunderts, die sich aus urheberrechtlichen Gründen – 70-jährige Schutzfrist nach dem Tod von Textautoren bzw. Übersetzern – erklären. So fehlen etwa sämtliche Operntexte Janác¡eks (der deutsche Übersetzer Max Brod starb 1968) und selbst Strauss ist nur bis zu Die Frau ohne Schatten (1919) vertreten (warum nicht auch das Hofmannsthal-Libretto zu Arabella abgedruckt wurde, bleibt ein Geheimnis). Hier stellt sich die Frage, ob sich nicht doch der Versuch, Lizenzen zumindest für einige Standardwerke des 20. Jahrhunderts zu erwerben, trotz unvermeidlicher Erhöhung des Verkaufspreises gelohnt hätte.
Aber auch innerhalb des lizenzfreien Repertoires hält die Auswahl – mit dem legitimen Schwerpunkt auf Werken in deutscher Sprache – einige Überraschungen bereit. So fehlt Rameau trotz der Wiederentdeckung einiger seiner Opern in jüngerer Zeit im Gegensatz etwa zu Lully (mit Atys und Persée vertreten), und Webers Oberon wird der Benutzer genauso wie E. T. A. Hoffmanns Undine vermissen. Dagegen trifft man auf Texte, die allenfalls noch aus historischer Sicht Interesse beanspruchen können wie etwa Johann Andrés Belmont und Constanze oder Die Entführung aus dem Serail (1781), vertont auf einen Text von Christoph Friedrich Bretzner, dem auch die Einrichtung von Johann Gottlieb Stephanie für Mozarts bekannte Oper zu Grunde liegt. Offenbar nahm der Herausgeber in solchen Fällen die selbst angegebene
Orientierung an der „Werkstatistik“ („Deutscher Bühnenverein – Bundesverband deutscher Theater“) für das Grundrepertoire, das durch gewichtige, aber weniger präsente Werke ergänzt wurde, nicht ganz so ernst.
Wohl ebenfalls aus Lizenzgründen wurde meist auf ältere Textausgaben und Übersetzungen zurückgegriffen, obgleich vielfach weitaus bessere Editionen (wie etwa im Falle Wagners die neue Serie des Reclam-Verlags) vorliegen. Das mag den normalen Opernbesucher (sofern dieser ohnehin nicht die knappe Inhaltsangaben in seinem Opernführer vorzieht) kaum stören, wohl aber Liebhaber und Forscher, bei denen es auf verlässliche Ausgaben ankommt, wenn es um Detailfragen geht. Überhaupt besteht der eigentliche Wert einer solchen auf elektronischem Speichermedium angebotenen Sammlung ja weniger in der Möglichkeit zur (am Bildschirm doch recht unbequemen) Lektüre ausgewählter Libretti als in vergleichenden Studien mittels Such-Optionen, die in der Tat von einzelnen Wörtern bis hin zu kombinierten Themen und Sachgebieten sehr vielfältig sind.
Fazit: So ehrgeizig das Unternehmen zunächst anmutet, so eingeschränkt erweist sich die Brauchbarkeit der „Operntexte“ durch die genannten Mängel.
 
Peter Jost