Brug, Manuel

Opernregisseure heute

Mit auführlichem Lexikonteil

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel, Berlin 2006
erschienen in: das Orchester 09/2006 , Seite 80

Nimmt man die heutige „klassische“ Musikszene in ihrer Gesamtheit, so fällt die Kluft zwischen der Bühnen- und der absoluten Musik auf: Letztere mit ihrer bisweilen schon manieristisch anmutenden und keineswegs immer glücklichen Tendenz zur so genannten Werktreue um jeden Preis, der gegenüber sich die Bühnenwerke (Oper, Operette, Ballett) immer radikaler und modernistischer gerieren und sich bis zur völligen Unkenntlichkeit – Stichwort: Regietheater – von ihren Wurzeln entfernen. Was für Manuel Brug aber kein Grund ist, „konservative“ (also „werkgetreue“) Inszenierungen wenigstens in Ausnahmefällen gelten zu lassen.
Wiewohl das Buch mit großer Sachkenntnis verfasst ist und eine beinahe rekordverdächtige Rezeptionsleistung von an die 1200 besuchten Aufführungen vermuten lässt, vermag man Brug doch nicht in allem zu folgen, und es bleibt die Erkenntnis, dass auch Theaterregie letztlich eine Geschmacksfrage ist: Eine absolute „Regiewahrheit“ existiert nicht!
Wenn Brug z.B. apodiktisch erklärt, den perfekten Don Giovanni gebe es nicht, dann scheint er ausgerechnet die Kupfer-Inszenierung an der Berliner Komischen Oper von 1987 (mit insgesamt 77 Aufführungen bis 2000) verpasst zu haben, erwähnt sie jedenfalls mit keinem Wort. Wenn aber je ein Don Giovanni „perfekt“ gewesen ist, dann dieser!
Andreas Homokis Verkaufte Braut (an gleicher Stelle, 2002) verdammt der Autor als „muffig schlecht gelaunt“. Ich weiß nicht, wo Brug sich aufgehalten hat (vielleicht war er ja doch nicht bei allen beschriebenen Veranstaltungen persönlich anwesend…?), aber mir ist selten eine witzigere und trotzdem immer noch schlüssige Deutung begegnet.
Anderenorts bedauert der Verfasser, dass „allzu selten am Werk selbst gerührt“ wird, „um seine gesellschaftskritische Sprengkraft freizusetzen“. Aber ja! Nur: Zum Glück ist Oper eben auch Unterhaltung, und ich muss nicht jeden Othello mit Schützenpanzern auf der Bühne oder den Boris Godunow im Bundeskanzleramt erleben! Das ist einfach nur doof. Genauso doof wie – heutzutage – Allongeperücken und Rüschenärmel!
Ein letztes Beispiel: Die Sicht des Regisseurs Barrie Kosky auf Le nozze di Figaro verschmäht Brug als „leider nur witzig“, ganz so, als sei es ein Sakrileg, diese „Opera buffa“ auch einmal ohne jede Bedeutungsschwere nur einfach witzig auf die Bühne zu stellen!
Und so kann man in vielem mit dem Autor übereinstimmen, in manchem aber auch trefflich streiten. Weil dem aber so ist, hätten wir es mit einem ganz famosen Buch zu tun, wäre da nicht der völlige Verzicht auf Werke-, Namen- und Ortsregister, deren Fehlen dem Leser den vergleichenden Blick doch erheblich erschwert. Die im lexikalischen Teil stattdessen erarbeitete Auswahldiskografie wäre da schon eher entbehrlich gewesen, da man sich beim CD-Kauf doch eher an den musikalisch Verantwortlichen orientiert.
Friedemann Kluge