Ludwig, Ariane
Opernbesuche in der Literatur
Ob Forum gesellschaftlicher Selbstdarstellung und Jahrmarkt der Eitelkeiten; ob alle Sinne ansprechender musikalisch-theatraler Raum und Stimulans für Liebesbeziehungen oder rätselhafter Ort von Unglücksfällen und mysteriösen Verbrechen: Es sind dies die szenischen Grundmuster, nach denen das Opernhausmotiv immer wieder, hauptsächlich in Romanen und Novellen, literarische Ausarbeitung erfährt.
Die vorliegende komparatistisch angelegte Untersuchung von Ariane Ludwig die Autorin macht hier ihre Dissertation einer interessierten Leserschaft zugänglich präsentiert eine umfassende Zusammenstellung entsprechender Beispiele literarischer Episoden, die in Opernhäusern spielen schwerpunktmäßig aus deutscher und französischer Literatur vor allem des 19. Jahrhunderts.
Die Fülle der Belege für die Wirkung jenes facettenreichen Topos ist dabei überbordend, deren kenntnisreiche Auswertung beeindruckend. Auf insgesamt gut 700 Seiten wird das weitverzweigte thematische Terrain erschlossen, vielgestaltig die aufgezeigten Aspekte, riesig der Anmerkungsapparat mit nahezu 2000 nachgestellten Erläuterungen allein auf 150 Seiten sowie Text- bzw. Literaturverzeichnissen auf weiteren 100 Seiten.
Über die skizzierten drei wesentlichen szenischen Grundmuster hinaus bestimmt Ariane Ludwig das literarische Opernhaus vor allem auch als markanten Ort der Intertextualität: Durch Einblendung der Bühnenhandlung in den Prosatext werden zwei Handlungsebenen enggeführt, auf dass sich Bezüge zwischen Motiven und Handlungssträngen auf beiden Ebenen ergeben. Nicht von ungefähr stellt der Opernbesuch daher häufig ein wesentliches Moment, einen Wendepunkt im Prozess der Selbsterkenntnis einer fiktiven Figur dar und erhält damit auch Gelenkfunktion innerhalb literarischer Handlung.
Der Reigen der Literaturbeispiele und Autorennamen spannt sich etwa von Honoré de Balzac, Gustave Flaubert und E.T.A. Hoffmann über Peter Altenberg, die Brüder Mann, Stendhal und Tolstoi bis hin zu Georg Kaiser, Thomas Bernhard, John Irving und viele weitere mehr. Eine weitausgreifende Literatur-Schau, ein gewaltiger Lektüre-Durchgang. Erhellend dabei auch die Seitenblicke auf den gestalterischen Umgang mit dem Thema in den Bereichen der bildenden Kunst und des Films.
Schade nur, dass die Überschriften zu den insgesamt 14 Kapiteln unnötig verrätselt erscheinen, womit Zuordnungen erschwert werden, und dass die dickleibige Veröffentlichung als schlussendlich wenig praktikable Paperback-Ausgabe daherkommt. Gleichwohl, die Wirkkraft des Opernhausmotivs wird genauso philologisch-präzise wie höchst lesenswert ausgeleuchtet. Wer Literatur liebt und gerne Opern(-häuser) besucht, für den liegt hier fraglos ein großes Buch bereit.
Gunther Diehl