Schaller (Hg.), Wolfgang

Operette unterm Hakenkreuz

Zwischen hoffähiger Kunst und "Entartung". Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Metropol Verlag, Berlin 2007
erschienen in: das Orchester 03/2008 , Seite 58

Allein der Ausschnitt aus dem Völkischen Beobachter vom 13. April 1937 spricht Bände. Da berichtet der Musikkritiker Albert Dreetz, Herausgeber des Jahrbuchs der Deutschen Musik und der Propaganda-Schrift „So seid ihr wirklich – Kulturhetze und Kulturzerfall in England“, von den „Schauern des Ewigen, das sich in dem unvollendet gebliebenen Mysterium offenbart“. So rezensierte Dreetz die Urfassung von Bruckners „Neunter“ und unterschrieb namentlich. Der Aufführung der ersten Fernsehoperette auf derselben Seite attestiert er allenfalls „freundliche Eindrücke“, eine „wohlüberlegte Wirkung“ und „manch hübschen Einfall“. Dreetz, der diesen Artikel mit seinem Kürzel zeichnete, gestand der Fernsehoperette offenbar zähneknirschend eine „soziale“ Funktion zu, schien aber vom musikalischen Gehalt des Werks mitnichten überzeugt zu sein (den Ausdruck „Fernsehschmiere“ legte er vorsichtshalber dem Reichssendeleiter in den Mund).
Es sind gerade diese einordnenden Überlegungen, die die Autoren des Tagungsbandes Operette unterm Hakenkreuz dem Leser ersparen. Die bis auf eine Ausnahme (eine Selbstbeweihräucherung unter dem Titel „Erfahrungen eines Musikwissenschaftlers“) lesenswerten Beiträge von Literatur- und Theaterwissenschaftlern, Gymnasiallehrern, Kulturmanagern und Ministerialdirigenten, die in diesem Band versammelt sind, machen doch eines schmerzlich klar: Unter renommierten Musikhistorikern sind die beiden leichten Schwestern Operette und Musical nach wie vor ein Tabuthema und allenfalls im Hinblick auf größere soziokulturelle, historisch-biografische oder kulturpolitische Fragestellungen von Interesse. So sind denn die meisten Beiträge des Bandes zu zeitgeschichtlichen Schilderungen geraten. Barbara Denscher etwa beschreibt den Umstand, dass die Gala zum Geburtstag Lehárs mit der Operette Land des Lächelns gefeiert wurde, während der Textdichter des Werks, Fritz Löhner-Beda, in Buchenwald interniert war. Löhner-Beda starb in Auschwitz, seine Familie im Vernichtungslager Maly Trostinec, während sich Hitlers Lieblingsoperette, die Lustige Witwe, auch auf dem Broadway als Merry Widow höchster Beliebtheit erfreute…
Angesichts solcher Erkenntnisse gefriert dem Leser das Schmunzeln darüber, dass die Autoren von offenkundigen Zweideutigkeiten der Texte, über die sie schreiben, eher peinlich berührt zu sein scheinen. Ist dem Autor des Beitrags „Massary, Tauber & Co.“, Jens-Uwe Völmecke, überhaupt aufgefallen, wie schlüpfrig das Programmheft den Sänger und Schauspieler Michael Bohnen einführt: „Er hat den Stiernacken Casanovas. Er hat das Jähe, des Fanatische, aber auch das Zarte, das Anmutige, das Graziöse. Und das Organ, um sich der ganzen Welt vernehmlich zu machen…“?
Operette unterm Hakenkreuz ist also eher eine Materialsammlung, ein Stochern im Nebel der oft nicht einmal verschriftlichten biografischen Erinnerungen als eine historisch-kritische Aufarbeitung. Hier müsste noch viel getan werden.
Martin Morgenstern