Walter, Michael
Oper. Geschichte einer Institution
Ein gutes Stück Sozialgeschichte der Musik wird in dem wie ein Handbuch strukturierten Band des in Graz lehrenden Musikwissenschaftlers Michael Walter erzählt. Der Autor stellt Organisations- und Rechtsformen, die innere Struktur und die Finanzierungsprobleme der Oper von den Anfängen um 1600 bis in die Gegenwart dar und widmet sich in allen Einzelheiten dem italienischen Impresario-System, dem Hof-, Staats- und Stadttheater mit den relevanten historischen und
regionalen Besonderheiten.
Oper wird in diesem Band nicht als Gattung mit ihren vielen Stilrichtungen und Formen analysiert, sondern als Institution im Rahmen historischer, soziologischer und politischer Prozesse untersucht. Besonders interessant wird es, wenn die Verbindungslinien zwischen beiden Bereichen deutlich gemacht werden: so etwa bei der Entstehung und Verbreitung der französischen Oper Ende des 17. Jahrhunderts durch Verleihung königlicher Privilegien an Pierre Perrin und Jean-Baptiste Lully, die ein monetäres und damit zugleich musikalisches Monopol nach sich zog. Die beginnende Zentralisierung Frankreichs betraf auch die Produktion und Distribution von Musik.
Eine derartige Vernetzung von Prozessen, die die Entwicklung der Institution Oper bestimmt haben, findet sich an zahlreichen Stellen im Buch und ermöglicht so ein umfassendes Bild. Hinzu kommt die globalgeschichtliche Darstellungsweise, die die Gleichzeitigkeit von Phänomenen und Prozessen in vielen Teilen der Welt in den Blick nimmt: So führte etwa im 19. Jahrhundert eine große Konkurrenz unter den italienischen Operntruppen und einem daraus resultierenden Verfall der Gagen dazu, dass zunehmend gute Sänger in Südamerika auftraten, was einen Aufschwung der Oper etwa in Buenos Aires und anderen Metropolen des Subkontinents nach sich zog. Die Eröffnung des Teatro Colon 1908 kann als vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung betrachtet werden. Bequemeres Reisen und Verbesserungen im Geldverkehr schufen ebenso die Voraussetzungen dafür.
Eine zentrale Frage für die Institution Oper drehte sich um staatliche Subventionen, die schon von Beginn an, also seit den regelmäßigen Bezuschussungen der Pariser Opéra durch die Stadt ab 1780, umstritten waren. Das Hauptargument, von der Subventionierung profitiere lediglich eine kleine privilegierte Bevölkerungsgruppe, ist bis heute dasselbe geblieben, hat sich also nicht abgenutzt.
Der Autor hat ein wissenschaftlich ambitioniertes und dennoch gut lesbares Buch geschrieben. Übernahmen aus Vorveröffentlichungen werden nicht ausdrücklich kenntlich gemacht, die Bibliografie wird relativ kurz gehalten, die Schilderung der vielen Aspekte des Themas steht absolut im Vordergrund. Zusatzmaterialien wie etwa die Quellenzitate im Original oder ein ausführliches Verzeichnis der Forschungsliteratur sind im Internet frei verfügbar.
Zum Schluss muss aber noch etwas Wasser in den Wein gegossen werden: Man hätte dem Buch ein sorgfältigeres Lektorat gewünscht. Nicht selten fehlen im Text Satzzeichen und bleiben orthografische Fehler unkorrigiert.
Karim Hassan