Toelle, Jutta

Oper als Geschäft

Impresari an italienischen Opernhäusern 1860 – 1900

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2007
erschienen in: das Orchester 09/2007 , Seite 79

Diese Untersuchung ist die überarbeitete Fassung einer 2005 an der Berliner Humboldt-Universität angenommenen Dissertation – und sie entspricht überzeugend all den damit verbundenen wissenschaftlichen Ansprüchen. Sie erscheint hier als Band 15 der von Christian Kaden herausge-gebenen Reihe Musiksoziologie. Doch trotz des akademischen Rahmens ist Jutta Toelles Buch alles andere als eine trockene Studie allein für das Fachpublikum. Mit großer Sachkenntnis und gründlicher Quellenarbeit wird ein spannendes Kapitel italienischer Operngeschichte aufgefächert – und das einmal nicht mit dem Blick auf die Werke oder die ausführenden Künstler, sondern in der Betrachtung der wirtschaftlichen und organisatorischen Ermöglicher. Also der Personen, die nicht unbedingt aus Liebe zur Kunst, sondern eigentlich eher aus profan materiellen Gründen eine Opernproduktion auf die Beine stellten.
Diese Impresari, die Unternehmer – nichts anderes bedeutet der Name – in Sachen Oper, waren für den nicht höfischen Opernbetrieb über zwei Jahrhunderte lang von zentraler Bedeutung. Sie arbeiteten selbstredend zum eigenen wirtschaftlichen Nutzen, aber eben auch auf eigenes finanzielles Risiko. Toelle nimmt ihr Wirken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Blick, also zur Zeit des reifen Verdis und des aufkommenden Verismo. Es waren, wie sie darstellt, Krisenzeiten für die Opernunternehmer. Die jeweiligen Teilstaaten zogen sich nach der Einigung Italiens aus der Finanzierung der Opernhäuser zurück. Die Theater gingen an die Städte, die einen Teil der Kosten der stagioni, der Opernspielzeiten, tragen mussten und Einfluss auf den Betrieb nehmen wollten. Die Opernproduktionen wurden zu der Zeit spürbar teurer und auch die konkurrierenden Verleger Ricordi und Sonzogno mischten im Operngeschäft tüchtig mit.
All das schwächte die Impresari, die zunehmend in wirtschaftliche Nöte gerieten und deren Funktion zunehmend in Frage gestellt wurde. Sie wurden unter den gegebenen Umständen und auch im Zuge der Ausbildung des noch heute üblichen Repertoirebetriebs (also statt der Aufführung neuer Werke vorzugsweise solche der näheren oder weiteren Vergangenheit) – so das Ergebnis der Studien von Toelle – von aktiv Handelnden im Operngeschäft zu passiven Befehlsempfängern. Ihre Funktion wurde von Kommunen und Theaterdirektoren übernommen und aufgeteilt, bis die Impresari schließlich ganz von der Bildfläche verschwanden.
All das schildert Toelle am Beispiel der Mailänder Scala, des Teatro La Fenice in Venedig und des Teatro Regio in Parma. Neben einem ersten, die geschichtlichen Zusammenhänge darstellenden Teil stellt sie in einem zweiten eine Reihe von Impresari der Zeit wie Luciano und Ercole Marzi, Luigi Piontelli sowie Cesare und Enrico Corti vor. Das Buch behandelt eine über hundert Jahre zurückliegende Epoche der Operngeschichte im Geburtsland der Gattung, aber beim Leser drängen sich immer wieder Assoziationen zum Opernbetrieb der Gegenwart auf, wo manche Probleme so sehr anders doch nicht sind.
Oper als Geschäft: Der Titel des Buches gewinnt in dieser Hinsicht einen ironischen Doppelsinn. Mit Oper ist eben schon lange kein Geschäft mehr zu machen, wenn sie künstlerisch einigermaßen anspruchsvoll sein und ernst genommen werden will. Am Ende ihres Resümees schreibt die Autorin denn auch treffend: „Die Frage nach der Finanzierung der teuersten und komplexesten aller Kunstformen ist eine politische – dies war sie im Italien des 19. Jahrhunderts, und dies ist sie heute.“ In diesem Sinn ist der aufschlussreiche und im Übrigen flüssig zu lesende Band auch ein spannendes Lehrmaterial für aktuelle kulturpolitische Diskussionen.
Karl Georg Berg