Turnage, Mark-Anthony

On Opened Ground

Concerto for Viola and Orchestra, Klavierauszug mit Solostimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2010
erschienen in: das Orchester 05/2011 , Seite 72

Solokonzerte nehmen im Werkverzeichnis von Mark-Anthony Turnage seit jeher einen bevorzugten Platz ein: Vom Saxofonkonzert Your Rockaby von 1992 bis zum Violinkonzert Mambo, Blues and Tarantella aus dem Jahr 2007 zählt man mittlerweile nicht weniger als 16 konzertante Werke für die verschiedensten Instrumente, darunter neben traditionellen Einzelkonzerten für Posaune (Another Set To, 2000), Klarinette (Riffs And Refrains, 2003) oder Kontrabass (A Prayer Out Of Stillness, 2007) auch solche für ungewöhnliche Solo-Kombinationen wie zwei Schlagzeuger (Fractured Lines, 2001), Jazz-Trio (Scorched, 2001) oder vier Hörner (Four-Horned Fandango, 2000).
Das Bratschenkonzert On Opened Ground entstand in den Jahren 2000 bis 2001 als Auftragskomposition für Yuri Bashmet und das Cleveland Orchestra. Trotz solch prominenter Paten hat es das Stück aber (noch) nicht ins zeitgenössische Repertoire geschafft: Nach der Uraufführung im November 2002 hat Bashmet das Konzert relativ schnell wieder beiseite gelegt. Später hat es Lawrence Power zusammen mit Oliver Knussen und Gerard Schwarz aufgeführt, Tabea Zimmermann mit dem Bundesjugendorchester 2006 sogar eine erste (wenn auch schwer greifbare) CD-Produktion auf den Markt gebracht. Doch seitdem ist es merklich ruhiger um das Stück geworden.
Möglicherweise ist Turnages Ruf als moderner „Jazz-Komponist“ einer breiteren Rezeption des Werks bisher im Wege gewesen: On Opened Ground enthält sehr viel weniger offensichtliche U-Musik-Zitate und sehr viel mehr lyrisches Kantabile als ein „typischer“ Turnage, und auch die deutlichen Rückverweise auf traditionelle Formverläufe sind eher ungewöhnlich. Der erste Satz verschränkt eine arpeggienhafte „Cadenza“ mit einem nervös dahineilenden „Scherzino“, die zweite Hälfte besteht aus einem betont gesanglichen („hypnotisch“ überschriebenen) Liedabschnitt und einer abschließenden Chaconne. Die dramatische Fallhöhe über dem titelgebenden „offenen Boden“ ergibt sich dabei aus den drei „dark interruptions“ des langsamen Satzes und dem zunehmend instabilen Ostinato (englisch: ground) des Finales.
Dass zum 50. Geburtstag des Komponisten bei Schott ein Klavierauszug erschienen ist, eröffnet nunmehr die Möglichkeit einer weiteren Verbreitung dieses reizvollen (und technisch nicht überbordenden) Stücks. Die Ausgabe kann ohne Einschränkung als vorbildlich bezeichnet werden: Klavier- und Solo-Stimme sind durchweg penibelst bezeichnet und bis in die letzte Kleinigkeit übereinstimmend, das Druckbild ist bei aller Detailfreudigkeit übersichtlich und hervorragend lesbar, es gibt Taktzahlen, Studierziffern und praktikable Wendestellen. Einzige Kritik: Der Klaviersatz ist an einigen Stellen allenfalls 4-händig spielbar, enthält ein paar Seltsamkeiten wie Crescendi auf Haltetönen und spart an einigen Stellen just jene Töne aus, die in der Solo-Stimme als Stichnoten erscheinen. Der grundlegenden Qualität des Auszugs tut dies jedoch keinen Abbruch.
Joachim Schwarz